Im Sattel durch Zentralasien: 6000 Kilometer in 176 Tagen

Im Sattel durch Zentralasien: 6000 Kilometer in 176 Tagen
Author: Erich von Salzmann
Pages: 645,292 Pages
Audio Length: 8 hr 57 min
Languages: de

Summary

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"Flieger", 9j.brauner mongolischer Pony-Wallach

Langgefesselte Tiere findet man verhältnismäßig selten, dagegen sind Bockhufe ziemlich häufig, wahrscheinlich stammen solche Tiere aus besonders steinigen oder felsigen Gegenden, in denen sie viel auf harten Steinen klettern müssen.Diese Ponies eignen sich naturgemäß weniger für den Gebrauch in der Ebene, da auch ihre Aktion nicht so schön ist.Mein guter Schorsch, der bis Kaschgar treu ausgehalten hat, besaß solche Hufe.Der Schmied der Schwadron, bei der sein Vorbesitzer stand, hatte im Laufe der Zeit durch sehr geschickten Beschlag diesen Fehler fast gänzlich verschwinden lassen.Auf meinem Ritt hatte ich mit den chinesischen Schmieden dann immer zu kämpfen, da sie stets zu viel an der Zehe wegschneiden und so allmählich die steilen Hufe, die sie sehr lieben, erzielen.Im allgemeinen hat der mongolische Pony einen kleinen, hübschen und sehr harten Huf; ich habe gefunden, daß sich unser Beschlag nicht für diese Hufe eignet und bin mit meinen Tieren reumütig zu dem übrigens auch viel billigeren chinesischen Schmied zurückgekehrt.Später im Innern gab ich für Beschlag, rundum eines Tieres, ungefähr 40 Pfennig unseres Geldes.

Die Größe des Ponies differiert zwischen 12 hands und 14 hands — hands (4 Zoll) und inches (1 Zoll) sind englische Maße, nach denen stets der Verkauf an Europäer stattfindet, z.B.bedeuten 13 hands 1 inch 53 Zoll 4 Fuß 5 Zoll deutsch.— Die Ausnahme bestätigt die Regel und man findet selbstredend zuweilen sehr kleine und, allerdings seltener, größere Ponies als die angegebenen Maße.Sehr große finden Abnehmer in den Mandarinen, die für einen solchen Pony, der womöglich bis auf die Erde reichenden Schweif und Mähne hat und Paßgänger (Tsouma) ist, recht annehmbare Preise zahlen.Wir Europäer nehmen solche sehr großen Ponies weniger gern, da wir aus Erfahrung wissen, daß sie nicht so leistungsfähig sind, wie ein Pony mittlerer Größe, und ferner erhält ein solcher bei Rennen nach der Gewichtskala ein derartig hohes Gewicht aufgepackt, daß seine Chancen damit erledigt wären.

An Farben findet man das denkbar Mögliche bei den Ponies.Außer den bei uns bekannten Farben, wie man sie gewöhnlich bei Pferden antrifft, sieht man Tigerschimmel mit schwarzen Flecken, und gelb und braun geschippte, "spotted" — wie der Engländer sagt — sind häufig; auch gelblich-weiße findet man sehr oft.Schecken und Schimmel gibt es in Mengen, Rappen verhältnismäßig selten; diese sind darum sehr geschätzt und höher im Preise.Wie gesagt, kann ein Liebhaber bunter Tiere beim mongolischen Pony voll auf seine Rechnung kommen. Der Charakter der Ponies ist im allgemeinen ein guter zu nennen, wenn man sich auch nie so recht auf einen Pony verlassen kann. Mir ist es z. B. bei sonst ganz ruhigen Tieren öfters in der Box oder im Stande passiert, daß sie ohne jede Veranlassung nach mir keilten.

Die Abnehmer der Mongolen-Ponies sind die chinesischen Händler und die Kavallerie, letztere wird es wohl in Zukunft noch mehr ohne Zwischenhändler werden, nachdem Yuan-schi-kai, Vizekönig von Chili, den Anfang damit gemacht hat, seine Kavallerie auf Dienstpferden beritten zu machen und mit dem alten Prinzip zu brechen, daß der Kavallerist sein Pferd selbst mitbringt.Daß letzterer natürlich nur sein Pferd schonte und dickmästete, ist klar.Nach europäischem Vorbilde stellt Yuan-schi-kai Schimmel nicht mehr in die Truppe ein, so daß diese Farbe später wohl sehr billig werden wird.

Natürlich kaufen auch nur die Kavallerie-Truppenteile direkt vom Mongolen, die mit letzteren infolge ihrer Standorte zusammenkommen können.Eine Remontierung der Truppe in den von der Mongolei oder den Pferdezucht treibenden Teilen des Reiches entfernten Provinzen findet nicht etwa so wie bei uns statt, sondern das Zwischengeschäft liegt in den Händen chinesischer Händler.Fast zu jeder Jahreszeit kann man Herden von Ponies aus der Mongolei durch den Nankau-Paß heruntertreiben sehen.Sie gehen nach Peking, Tientsin, oder auch weiter nach Schantung, Honan, Schansi usw.Die Händler kaufen meist eine ganze Herde, wobei sie nicht mehr als 10 Taels (30 Mark) für den Kopf geben; wenn sie einzelne Tiere herauskaufen wollten, müßten sie unverhältnismäßig viel mehr bezahlen.Die Mehrzahl der Tiere ist meist ganz roh und geht an die Karrentreiber für höchstens 15 Taels weg, ihnen blüht kein schönes Los, denn harte Arbeit wartet ihrer.

Besser hat es die Auslese einer solchen Herde, die von Mandarinen oder Europäern gekauft wird; die erste Frage eines Chinesen beim Pferdehandel lautet: "Paßgänger oder nicht?"Ist letzteres der Fall, so ist der Pony schon erheblich billiger, zumal die meisten Mandarinen ein Pferd, welches keinen Paß geht, überhaupt nicht kaufen.Die Mongolen wissen das natürlich ganz genau und bringen den Tieren frühzeitig das Paßgehen bei, indem sie ihnen beim Reiten ein Vorder- und Hinterbein (gleichseitig) zusammenfesseln.Bei diesen Paßgängern fällt der Wurf im Trabe vollkommen fort, und je schneller solche Tiere traben, um so höher sind sie im Preise.Ich habe späterhin Paßtraber gesehen, bei denen ein Mittelgalopp gehendes Pferd sicher Not gehabt hätte, mitzukommen.Wenn ein solches Tier dann noch die vorher erwähnten Eigenschaften betreffs Größe, Farbe usw.hat, so zahlt der reiche Mandarin sicher bis 1000 Taels, um mit seinem "tsouma" auch auf den Pekinger Straßen Aufsehen zu erregen. Diese Tiere haben Galoppieren meist ganz verlernt. Spricht man z. B. mit einem Mandarin über schnelle Ponies und er proponiert vielleicht ein Wettrennen, so meint er selbstredend ein Trabrennen und keins in unserm Sinne.

Blick von der großen Tribüne auf den Platz vor derselben

Nun noch einiges vom Rennpony; ich meine denjenigen Pony in europäischen Händen, der zu Rennzwecken, wie in Europa ein Rennpferd, ausgenutzt wird.Die Tauglichkeit zum Rennpony trägt jeder einzelne in sich, er muß nur genügend schnell sein.Eine eigentliche Zucht solcher Tiere gibt es nicht oder vielmehr noch nicht; denn wer weiß, ob nicht einmal ein schlauer Mongole dahinter kommt, daß der und der Hengst in seiner Herde besonders schnelle Kinder zeugt, und daß er diesen dann als Vaterpferd bevorzugt, womit dann bald eine freie Zuchtwahl beendigt wäre und der Anfang einer richtigen Zucht nach bestimmten Prinzipien gemacht würde.So weit ist es noch nicht und wird es wohl vor der Hand auch noch nicht kommen.Ich kenne viele Ponies, denen ein anderer Ruf geblüht hat, bevor sie sich auf der Rennbahn einen berühmten Namen machten.Ich erinnere nur an den jedem Shanghaier wohlbekannten "Charger", der bekanntlich direkt aus der Karre herausgekauft wurde.Aber sogar "Lippspringe alias Rotation", deutsche Siegerin im Distanzritt Berlin — Wien, soll ja seinerzeit einmal in einer Karre gegangen sein.In jedem Jahre zweimal, und zwar in den Monaten Januar, Februar und auch noch März, dann im Juli, August und Anfang September, kommen die neuen Ponies, die sogenannten "Griffins", in die Rennponies haltenden Ställe.

Ich will an diesem Fleck speziell von den Tientsiner Ställen sprechen, deren Gepflogenheiten ich Gelegenheit hatte näher kennen zu lernen.Die Tiere werden auf die verschiedenartigste Weise gekauft.Jeder Stallbesitzer macht es natürlich anders.Die wenigsten gehen selbst in die Mongolei oder auch nur bis Kalgan, der Sammelstelle für Ponies und dem Sitze vieler Händler, hinauf, um selbst zu kaufen; die Reise ist zu beschwerlich.Für den Herrn geht der erste Mafu des Stalles und kauft, oder der betreffende Besitzer hat eine Abmachung mit einem der vielen Händler, der ihm die Ponies dann als erstem anbietet und vorstellt.Einige kaufen auch eine ganze Herde und heben dann das brauchbare aus den 35 - 40 Köpfen einer solchen aus, manchmal bleibt gar nichts ordentliches übrig, nachdem schon das von vornherein ausgeschiedene Material für ein Spottgeld weggegangen ist.

Einige wenige Ponies haben schon in der Mongolei wegen ihrer Schnelligkeit einen bedeutenden Ruf.Dieser dringt dann stets bis Tientsin, wahrscheinlich nur durch geschickte Mache der interessierten Besitzer.Natürlich ist letzterer immer irgend ein mongolischer Prinz oder sowas, das macht sich besser.Erzählt man einem der Sportsmen vielleicht bei der Morgenarbeit von diesem Tier, so weiß er natürlich schon längst ganz genau Bescheid, weiß auch, daß der und der Shanghaier Sportsman schon so und soviel geboten hat — natürlich bietet ein Shanghaier stets mehr als ein Tientsiner —, das ist selbstverständlich, denn die Shanghaier Races sind größer, also müssen die Tiere auch teurer bezahlt sein.Hinter dem Rücken handeln dann die Mafus schon längst um das Tier, und sie verstehen es fast immer meisterhaft, ihrem Herrn die Vorzüge des betreffenden Tieres ins hellste Licht zu stellen, so daß der betreffende Besitzer eine anständige Summe anlegt.Wieviel davon der Mafu einsteckt, bleibt natürlich Geschäftsgeheimnis.Kommt das Tier nachher zum ersten Mal auf die Rennbahn und soll mal auf der letzten Viertelmeile (400 Meter) zeigen, was es kann, so staunt natürlich alles, während man später in den wirklichen Rennen sehr oft gar nichts mehr von ihm hört.Es war wieder einmal eine der vielen Enttäuschungen, die dem Rennmanne hier genau so wie in Europa blühen.

Solche Tiere kommen beim Ankauf bis 500 Taels, was man wohl als Höchstpreis bezeichnen kann.Man hört manchmal von sehr viel teureren Tieren, aber das ist dann meist nur Reklame, und in Wirklichkeit, besonders wenn der Verkäufer Bargeld sieht, ist das Tier bald sehr viel billiger.Das Gros der Ponies, "Griffins", und Griffin ist jeder auch noch so alte Pony, der noch in keinem öffentlichen Rennen auf einem der Plätze des Peking-, Tongschan- und Tientsin-Race-Clubs gelaufen ist — unsere deutschen Rennen und die Rennen des Winter-Sport-Vereins rechnen nicht mit —, wird in Tientsin selbst an Ort und Stelle vom Händler gekauft. Diese Tiere sind meist nicht unter sieben Jahren; man hat durch die Erfahrung herausgefunden, daß der Pony die höchste Leistungsfähigkeit zwischen acht und zehn Jahren erreicht. Es spricht sich naturgemäß schnell herum, der und der Händler — die Namen sind bekannt — hat "Griffins" angebracht; jeder einzelne kann dann nach Geschmack kaufen. Gott sei Dank sind die Geschmäcker auch hier verschieden, und jeder, der kaufen will und das Geld dazu übrig hat, kann voll auf seine Kosten kommen.

1        2    3  4          5      6
Unsere Renngesellschaft am Stall
1 Herr Sommer, Sieger im großen Distanzritt Tientsin-Peking, 130 km in 7 Stunden 33 Min. 2 Herr Stang 3 Herr Felix Boos 4 Mr. Andersen 5 Leutnant v. Salzmann 6 Herr Otto Schweigardt

Die Ponies kosten dann je nach Größe und Points zwischen 60 und 150 Taels; man schätzt hierbei ein Durchschnittsmaß von 13,1 hands (dreizehn h.1 inches) am meisten; für einen kleineren Pony ist es schwer, einen Reiter zu finden, der das betreffende Gewicht reiten kann, und größere Ponies bekommen zu viel aufgepackt.Hinsichtlich Points sieht man genau auf dieselben Eigenschaften wie in Europa beim Vollblut, und da die Tiere fast ausschließlich in Flachrennen gehen sollen, so ist eine lange, schräge Schulter, in Verbindung mit einem nicht zu kurzen Rücken, besonders erwünscht.Trotz noch so schöner Points kauft man aber stets die Katze im Sack, denn selbst der gewiegteste Kenner kann nicht im entferntesten ahnen, ob einmal aus dem Tier etwas wird, oder ob er sich nicht seines Temperaments halber oder aus sonstigen Gründen als absolut ungeeignet zu Rennzwecken erweist.Jeder Anhalt infolge Abstammung fehlt eben.

Die meisten der aus der Mongolei kommenden Tiere weisen einen Brand auf einem der Hinterschenkel, der Schulter oder seltener am Halse auf.Diese Brände sind entweder chinesische Charaktere, wie

oder Phantasiezeichen, wie

Ob dieses eine Art Gestütsbrand ist oder nur ein Händlerbrand, habe ich nie so recht feststellen können.Eines weiß ich jedoch bestimmt, daß viele Händler ihre Tiere brennen aus dem einfachen Grunde, um ihr Eigentumsrecht an diesen Tieren ad oculos zu demonstrieren.Ich habe dies bei Kalgan beobachtet, und ich denke, daß, wenn Züchter ihre Tiere brennen, sie es nur aus dem oben angeführten Grunde tun.Wenn unter Rennleuten zuweilen Tiere mit bestimmten Bränden vorgezogen werden, so halte ich dies insofern für einen Zufall, als dem Betreffenden einigemale hintereinander Tiere mit demselben Brande in die Hände geraten sind.

Die neuen Ponies kommen nun in die Ställe, wo sie der Obhut der Mafus, chinesischen Pferdeknechte, anvertraut werden.Meist haben sie im Anfang eine starke Antipathie gegen den Europäer, die sich beim Nähern des letzteren in Schnauben, Ängstlichkeit, oft aber auch in Schlagen mit den Vorderbeinen und Annehmen mit dem Gebiß äußert, während sie gegen ihre Landsleute friedlich gesonnen sind.Die im Sommer kommenden Ponies werden sofort frisiert, d.h.man fesselt sie, bremst sie, wenn sie sehr ungeberdig sind, und dann werden sie mittels Klippschere geschoren.Die schöne Mähne wird gekürzt, und gleichzeitig beschneidet der Schmied die Hufe und bringt sie in Ordnung.Die im Anfang des Jahres kommenden Tiere werden meist nicht sofort geschoren, da es ihnen in der Kälte wohl schlecht bekommen würde.

Die Stallpflege ist sonst im allgemeinen genau dieselbe wie in Europa in einem Rennstall.Jeder Junge bekommt ein Tier zur Pflege zugeteilt, der erste Mafu verteilt das Futter und überwacht das Futterschütten.Da diese ersten Mafus meist jahrelange Erfahrungen hinter sich haben, wissen sie genau, wie sie die "Griffins" am besten an das ihnen noch ungewohnte Körnerfutter gewöhnen, denn vorher haben die Tiere ja nur das Gras der Weiden bekommen.Selbstredend hat auch beim Futtern jeder Stall seine eigenen Grundsätze.Der eine gibt mehr Kauliang (Heu), der andere füttert mehr Gerste oder schwarze Bohnen, oder gibt mehr oder weniger Häcksel.Jeder hat natürlich von seinem Standpunkt aus recht und hält seine Methode für die einzig richtige.Nur darin sind fast alle einig, daß sie Hafer erst einige Wochen vor den Rennen futtern, da man die Erfahrung gemacht hat, daß Hafer die Ponies sehr ungezogen und bockig macht.

"Vitiges", 6j.mongolischer Schimmel-Wallach auf dem Wege zum Start

Die Tiere werden viel geführt, wozu bei den meisten Ställen eine runde Strohbahn vorhanden ist.Bald fängt dann die erste Trabarbeit an, denn diese ist das hauptsächlichste Mittel, das Tier in der Muskulatur und im Atem zu fördern.Hierbei reiten die sogenannten Trainiermafus die Ponies auf dem Rennplatze; der betreffende Besitzer trinkt unterdessen seinen Kaffee auf der Tribüne und beobachtet durch das Glas seine Lieblinge.Ich habe stets gefunden, daß diese Mafus fast durchweg, wie man so sagt, "eine eiserne Klaue" haben; ich persönlich habe auch viel in der Trabarbeit geritten und bei manchem Pony Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie er in der Hand des Mafus von Woche zu Woche unempfindlicher im Maul wurde.Bei manchem geht das dann so weit, daß er sofort in voller Fahrt losgeht, sowie man ihm auf der Bahn nur die Nase herumgedreht hat.Solche Tiere sind ihrer Heftigkeit wegen sehr schwer zu behandeln; man arbeitet sie am besten draußen im Gelände ein und bringt sie nur zur Galopparbeit oder zu einem Trial auf die Bahn, denn sonst kann man später beim Aufsitzen und beim Start Szenen erleben, gegen die ein schwieriger Start von Zweijährigen in Deutschland eine Kinderei ist.

Ist der Pony nun kurze Zeit in Arbeit, so überhört man ihn einmal auf seine Leistungsfähigkeit und Galoppaktion.Vorausschicken muß ich, daß der Tientsiner Flachrenn-Kurs genau 2000 Meter lang ist, daß er ferner mittels Stangen in Viertelmeilen (also 400 zu 400 Meter) eingeteilt ist, und daß es daher von der schönen großen Tribüne aus möglich ist, die Zeit, die das Tier zum Durchmessen der verschiedenen Viertelmeilen braucht, mittels der Sekundenuhr, der Stopwatch, genau festzustellen.Das gesamte fernere Training geht an der Hand der Uhr.Die festgestellten Rekorde, die ich hier gleich aufführen will, sind jedem bekannt und bieten daher einen durchaus genauen Anhalt für die Leistungsfähigkeit des Tieres.

Festgestellte Rekorde:

DistanzBesitzerPonyFarbeHöheGewichtJahrZeit
Min.Sek.
1/2Meile(800 m)H.DetringSendgrafschw.13,111,1H.99581/4
3/4(1200 „)Setschw.13,311,7F.991,294/5
1400Meter(1400 „)AndrewAdvanceGrauschimmel13,111,8F.991,483/5
1Meile(1600 „)DetringSetschw.13,311,7F.992,051/5
11/4(2000 „)J.M.D.Stray ShotGrauschimmel13,211,4F.972,37
11/2(2400 „)Dr. FrazerNeophyteSchimmel13,211,0F.903,14
13/4(2800 „)MunthePalo Altodun.13,111,1F.973,47
2(3200 „)BrenanOrionbraun13,111,1H.924,26

Die Höhe sind englische hands und inches. 1 hand = 4 Zoll, 1 inch = 1 Zoll deutsch.

Das Gewicht sind englische stones und pounds. 1 stone = 14 Pfund. 10 englische Pfunde = 9 deutsche Pfund.

H = Herbst, F = Frühjahr.

Die Zeit sind Minuten, Sekunden und Bruchteile der Sekunde.

Zeigt das Tier nun eine gute Aktion und eine annehmbare Zeit auf der last quarter, der letzten Viertelmeile, ich will mal sagen 28½ bis 29½ Sekunden, manchmal sogar darunter, so ist es dasjenige, was man verlangen kann.Wenn der Pony diese Zeit nicht geht, oder mangelhafte Aktion zeigt, so wandert er meist an den Händler, vielleicht mit einem kleinen Verlust zurück; dieser schickt ihn dann in die Mongolei, von wo er vielleicht nach Jahren wieder einmal "wie neu" zurückkommt, um dann mehr Gnade vor den Augen eines Besitzers zu finden; vielen blüht aber auch das wenig beneidenswerte Los des Karrentieres.

So geht das Training weiter, sehr viel Trab, verhältnismäßig wenig Galopparbeit; zu letzterer setzt sich meist der Herr — es gibt nur Herrenreiten in China —, der das Tier später im Rennen steuern soll, selbst darauf.Die Ponies, die meist zu zweien oder dreien herumgeschickt werden, müssen stets auf der Geraden in der letzten Viertelmeile vollkommen ausgeritten werden, auch wenn sie hoffnungslos geschlagen, ganz hinten liegen.Man sagt, daß ein Pony sich sofort merkt, wo er angehalten wird, und später dort streikt, also zum "Stinker" wird. Die Ponies entwickeln sich mehr und mehr in der Muskulatur, man massiert sie abends viel und gibt ihnen allmählich Hafer, sie sehen prachtvoll aus, und so mancher nimmt die Figur eines Vollblüters, allerdings en miniature, an. Für den Sportsman ist es eine reine Freude, zu sehen, was aus den Tieren bei sachgemäßer Arbeit werden kann. Nun naht allmählich der Nennungsschluß; der Besitzer muß sich schon klar darüber sein, und hat dies auch in Trials ausprobiert, für welche der verschiedenen Distanzen sich seine Tiere eignen, um nicht einen Flitzer in ein langes Rennen zu stellen und einen ausgesprochenen Steher in ein kurzes. Der Nennungsschluß ist vier Wochen vor dem ersten Renntage, Nachnennungen gibt es nicht; zugleich findet die Messung der Ponies durch einen der Stewards statt.

"Totila", nach gewonnenem Derby auf dem Wege zur Wage,
von Herrn Felix Boos geführt (Frühjahr 1902)

Die Rennen finden an drei meist aufeinander folgenden Tagen statt, denen sich dann oft noch ein vierter Tag, ein sogenannter "off day" anschließt, an dem alles geschlagene Material um von den hauptsächlich gewinnenden Ställen ausgesetzte Preise konkurriert.Die Regel des Tientsin Race Club schließen sich im allgemeinen den sogenannten Newmarket rules an, im besonderen in solchen Fällen, wo die Bestimmungen des Tientsin Race Club nicht ausreichen. Die Gewichte sind zehn stones für zwölf hands, für jeden Zoll mehr drei Pfund, für den letzten Zoll zu 14,3 hands (59 Zoll) gibt's fünf Pfund. Größere Ponies dürfen nicht laufen. Die Propositionen der einzelnen Rennen sind an der Hand von jahrzehntelangen Erfahrungen zusammengestellt und bieten nach Möglichkeit jedem einzelnen Pony eine Gewinnchance. Sämtliche Sieger konkurrieren am dritten Renntage zusammen in den Champion stakes, einem Rennen über 2000 Meter.

1                2
Richter-Häuschen
1 General Soucillon, Commandeur de la brigade d'occupation française
2 General de Wogack (Rußland), Verteidiger Tientsins 1900

Das Training geht indessen weiter; man weiß schon naturgemäß von gewissen Ponies, daß sie außerordentlich gute Zeiten gezeigt haben.Einige halten ihre Ponies dunkel oder geben sich wenigstens Mühe, es zu tun, sie halten ihre Trials in der Dämmerstunde ab, und man erzählt sich, daß ein Übereifriger sogar bei Nacht seine Trials abmachte und, um das Passieren der Viertelmeilen-Pfähle zu markieren, an jedem der letzten einen Chinesen mit einer Laterne aufgestellt hatte, die beim Passieren des Points heruntergenommen wurde, um so den Anhalt für den die Sekundenuhr Haltenden zu geben.Sonst steht am letzten Viertelmeilenpfosten stets ein Chinese mit einer roten Flagge, die er herunter nimmt, wenn ein Pony im Canter passiert.

Eng verbunden mit dem Rennen sind große Lotterien.Zu diesem Zwecke liegen in den Clubs und öffentlichen Lokalen numerierte Listen der einzelnen Rennen mit verschiedenen Preisen der Lose aus; jede Nummer, hinter die man seinen Namen setzt, ist gleichsam ein Los.In gewöhnlichen Rennen kostet eine Zeichnung zwei oder drei Dollar, in der Champion-Lotterie 10 Dollar.Leider sind auch hier sehr viel mehr Nieten als Gewinne.Kurze Zeit vor den Rennen werden an drei aufeinanderfolgenden Tagen, entsprechend den Rennen der drei Tage, die Lotterien öffentlich im Tientsin-Klub gezogen, zu welcher Haupt- und Staatsaktion sich alles, "was so ein bißchen was ist", zusammenfindet, um zu gewinnen, zu verlieren oder um auch nur aus der Höhe der Angebote der Stall-Besitzer für die zur Versteigerung gestellten Gewinnlose zu ersehen, ob der Besitzer seinem Pony etwas zutraut oder nicht.Soviel Ponies in einem Rennen genannt sind, so viel Gewinnlose werden gezogen; diese werden hinterher versteigert.Der Ersteigerer muß die Summe, die er geboten, einmal an den Glücklichen zahlen, der das Los gezogen hat, und einmal der Rennkasse zuweisen.Er wird damit Besitzer des Loses.Besonders in der Champion-Lotterie versucht natürlich jeder Stall-Besitzer sich das auf seinen Stall gefallene Los zu ersteigern.Dabei kommen fast immer ganz anständige Summen in Umsatz.So war z.B.im Frühjahr 1902 4153 Dollar der Inhalt der Champion-Lotterie.Nach einem Abzug für die Rennkasse bekam 75% von dieser Summe der Besitzer des Loses, das die Nummer des gewinnenden Ponys zeigte, 25% gab es ebenso für den zweiten.Ich hatte mit einem andern Herrn zusammen den zweiten Pony, den ich notabene selbst ritt.

"Totila", 7j.— Frühjahr 1902 — Sieger im Northern Cup Tientsin Derby, 2.Champion stakes

Nun kommen die Renntage selbst, ein wahres Volksfest für die Bevölkerung; alle Läden schließen, jedes Geschäft, und sei es auch noch so dringend, wird aufgeschoben, die Rennen entschuldigen alles.Der schöne Rennplatz, dessen Tribüne und Richterhäuschen wiederhergestellt sind, nachdem sie von den Boxern 1900 gänzlich heruntergebrannt waren, prangt im Fahnenschmuck.Paddocks, Ställe und Toto usw.sind noch provisorisch, werden aber jetzt wohl, wo ich dieses schreibe, auch schon massiv hergestellt sein, denn die Mittel für die neuen Bauten waren schon seinerzeit sichergestellt.Der deutsche Klub hat sein eigenes Erfrischungszelt draußen, in dem auch er noch eine Privatlotterie für die Championstakes aufgelegt hat.Alles wandert zu Roß, Rad, Wagen oder zu Fuß, die Damen natürlich in großer Toilette, zum Rennplatz, deutsche, französische oder englische Militärmusik läßt ihre fröhlichen Weisen ertönen, kurzum, es ist genau so wie bei uns zu Hause, nur vielleicht mit dem Unterschiede, daß sich alles gegenseitig kennt.

Vormittags sind drei Rennen, dann gibt es Lunch oder vielmehr Tiffin im großen Saale der Haupttribüne, wonach die Rennen ihren weiteren Verlauf nehmen.Man muß sich zu dem Tiffin, an dem alles, was sich zur guten Gesellschaft rechnet, teilnimmt, vorher ein Billet kaufen.Das Saal-Innere bietet ein hübsches buntes Bild.An langen Tafeln mit numerierten Plätzen sowie auch an einzelnen kleinen Tischen sitzen die Damen in luftigen Toiletten, die Herren in hellen Sportanzügen, und dazwischen die Offiziere in Uniformen aller Länder.Dem nicht entsprechend ist gewöhnlich das Tiffin; man bekommt so gut wie nichts, wenn man nicht seinen eigenen Boy zur Bedienung mitbringt, und muß zufrieden sein, wenn man eine kalte Schüssel erreicht.An ein Aufstehen ist nicht zu denken, wenn man nicht einen Sturm der Entrüstung hervorrufen will, da alles sich gegenseitig fast auf dem Schoß sitzt, und um zu seinem Platz zu gelangen, muß man eine halsbrechende Kletterpartie unternehmen.Aber trotzdem herrscht angeregteste, heitere Stimmung, der selbst kein Eintrag geschieht, wenn inzwischen sich ein recht unangenehmer Staubsturm entwickelt.Ein Teil der Rennstall-Besitzer schlägt in reservierten Boxes der Ställe selbst Buffets auf, wozu kalte Küche und Getränke mitgebracht werden.

Die Preise der Rennen bestehen meist in Geldpreisen, zuweilen in Ehrenpreisen, die jedoch stets an den Besitzer des siegenden Tieres gehen.

Publikum auf dem Rennplatze an einem Renntage

An den kleineren Renntagen im Winter gab es regelmäßig ein sogenanntes "Ladies Nomination-Rennen".In diesem ritt man für eine vorher angegebene Dame der Gesellschaft, der von dem siegenden Reiter der Preis als Geschenk überreicht wurde.Ich hatte im Winter 1901/02 zweimal das Glück, auf diese Weise Damen einen silbernen Ehrenpreis zu Füßen legen zu können.— An diesen Renntagen wurden auch einige scherzhafte Rennen eingeschoben.So z.B.ein Hürdenrennen, bei dem man zum Schluß durch einen Schirm von Seidenpapier springen mußte, was nicht so einfach ist; ferner gab es sogenannte "leading races", in welchen man ein zweites Tier an der Hand mitnehmen mußte.Zuweilen führten auch die Kosaken ihre hübschen Reiterspiele auf.Auf dem Platze fehlen natürlich die Buchmacher nicht.Nach Schluß der Rennen sucht jeder so schnell als möglich nach Haus zu kommen — tout comme chez nous —, und den Abend und die ganze Nacht herrscht im Astor House (dem vornehmsten Hotel Tientsins) und den Klubs reges Leben; das gewonnene Geld muß eben untergebracht werden.

"Jakob", brauner australischer Wallach Frühjahr 1902 — den Tientsin Race Club Cup im Canter gewinnend

Ich hatte das Glück, im Frühjahrsmeeting 1902 mehrere Rennen mit Totila zu gewinnen, und war damit bis zu diesem Zeitpunkte der einzige deutsche Offizier, dem es seit unserer Ankunft in China geglückt ist, ein Rennen in den offiziellen Tientsiner Meetings zu gewinnen.Als Favorit ging ich mit Totila in das Hauptrennen, die Champion stakes, wurde aber leider von einem Pony, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte, auf den zweiten Platz verwiesen.Für mich werden diese Ponyrennen stets eine der schönsten Erinnerungen in China sein.Wir deutschen Herrenreiter gingen zuerst mit einem etwas überlegenen Lächeln an die Rennen auf dem mongolischen Pony heran und sahen uns bei unserm ersten Auftreten fast stets auf die letzten Plätze verwiesen.Das Lächeln verschwand bald.Wir sahen ein, daß nicht zu scherzen war, daß diese Konkurrenzen zur peinlichsten Vorbereitung und zum schärfsten Kampf herausforderten und daß der gesamte, so außerordentlich intensive Training auf der in Jahrzehnten gemachten Erfahrung beruhte.Wir mußten vollkommen neu lernen, denn auch das Reiten des Tieres, und hier wieder besonders das Finishreiten, ist ein ganz anderes als beim Pferde. Das Reiten strengt auf dem Pony sehr viel mehr an, als auf dem großen Pferde, und es gehört dazu für den eigenen Körper ein ebenso scharfes Training wie für den Pony. Ich habe die letzten sechs Wochen vor dem Rennen überhaupt keinen Alkohol zu mir genommen, übrigens mich nebenbei niemals wohler gefühlt als in dieser Zeit. Sehr vieles Zufußgehen brachte den Lungen die genügende Arbeit. Mein Gewicht brauchte ich nicht herunterzubringen, denn ich war sowieso schon zu leicht und mußte dies meist durch Gewichte oder schweren Sattel ausgleichen. Mein Lehrmeister in allen das Pony-Training angehenden Sachen war Herr Felix Boos, dem ich nicht genug dankbar sein kann, denn ohne seine täglichen Ermahnungen und Ratschläge hätte ich niemals die oben erwähnten schönen Erfolge errungen. Schwer genug ist es Herrn Boos, glaube ich, manchmal gefallen, denn ich war nicht gerade der folgsamste Schüler, sondern hatte meist meine eigenen Ansichten, die ja nicht immer die richtigsten waren, was ich aber erst hinterher einsah.Wie manches Mal wollte ich den Pony nicht mehr besteigen, wenn mich unser bester chinesischer Reiter im Stall "Li-san" wieder einmal mit dem schlechteren Pony in der Arbeit im Finish um einen Kopf schlug, und ich hab's schließlich doch gelernt.Aber auch hier gilt das Sprichwort: "Aller Anfang ist schwer."

"Nickel", 13j.mongolischer Pony-Wallach, Sieger vieler Rennen

Neben dem von Engländern gegründeten und von der gesamten Fremden-Kolonie unterhaltenen Verein, dem "Tientsin Race Club", gab es noch einen "Deutschen Reiter-Verein", der jährlich an zwei oder drei Tagen Rennen abhielt, in denen es sich zum Teil um Rennen für große Pferde, zum Teil um Hindernisrennen für Ponies handelte.Also Hoppegarten und Karlshorst im Kleinen.Der Rennplatz des "Deutschen Reiter-Vereins" war nur ein provisorischer und lag innerhalb des von den deutschen Truppen besetzten Geländes.Diese Renntage trugen mehr einen intimen Charakter, da die hauptsächlichsten Konkurrenten aus deutschen Offizierställen kamen und nur vereinzelt fremde Uniformen oder der Dreß auftauchte.Es wurde hier lediglich um Ehrenpreise geritten, die Lotterien und der Totalisator fielen fort.Auch hier hatte ich das Glück, viele Erfolge zu haben.Besonders mein australischer Wallach "Jakob" wird noch in aller Erinnerung sein, der unter andern "Signorita", bis zu diesem Zeitpunkt Tientsins bestes Pferd, spielend schlug, ebenso der Fuchspony "Dr. H.", ferner "Flieger", "Nickel", "Teja" und andere mehr.Der gute Schimmelwallach Nickel (13 Jahre) hatte mir schon in Peking im ersten Jahre manch schönen Ehrenpreis eingebracht.Jetzt habe ich eine ganze Anzahl solcher Preise in Silber, Bronze und Cloisonné zusammen, schöne und liebe Andenken an den Rennsport in China von 1900 bis 1902.


Unter Hangen und Bangen verstrichen die Tage nach dem letzten Pekinger Ritt.Ich beantragte bei der Gesandtschaft einen Paß vom Wei-wu-pu — dem Auswärtigen Amte Chinas —, aber noch ging eine Woche der Ungewißheit hin.Endlich am 24.Dezember traf ich zufällig auf der Victoria Road, der Hauptverkehrsstraße, Herrn Major v.Falkenhayn, der mir im Vorbeireiten zurief: "Soeben ist Telegramm aus Berlin gekommen, Ihr Urlaub nach Zentralasien ist genehmigt."Das war für mich das schönste Weihnachtsgeschenk.Niemand war glücklicher als ich, da ich nun alle Schwierigkeiten überwunden glaubte.Ich bestellte sofort den Paß zur Reise durch Rußland im deutschen Konsulat, sah mich nach geeigneten Tieren für mich um und dachte an meine Ausrüstung.Doch noch manches unerwartete Hindernis stellte sich mir entgegen, ehe ich Tientsin endgültig verließ.

Am 27.Dezember wurde ich wieder einmal zur Brigade gerufen und erhielt die Mitteilung, daß mir der General infolge der politischen Lage in den Westprovinzen des Reiches nicht gestatten könne, meinen Urlaub anzutreten.Mein Gesuch um den chinesischen Reisepaß war auf der Gesandtschaft eingelaufen und auch an das chinesische Auswärtige Amt weitergegeben worden.Inzwischen waren vom englischen Generalkonsul aus Hankau telegraphische Nachrichten eingetroffen, daß die Provinzen Kansu und Schensi sich im Aufstande befänden, und zwar infolge erneuter Umtriebe des Generals Tung-fu-hsiang und des Prinzen Tuan, sowie daß die dortigen Missionare ihre Frauen zurückgezogen hätten und selbst bereit seien, jeden Moment die Flucht zur Küste anzutreten.Auf diese Nachricht hin schrieb der stellvertretende Gesandte, Legationsrat v.d.Goltz, an das Brigade-Kommando, wie er es unter solchen Umständen nicht für erwünscht halten könne, daß ein Offizier durch jene Provinzen ritte, und daß ich entweder einen andern Reiseweg wählen oder warten müsse, bis beruhigendere Nachrichten vorlägen.Das war ein recht harter Strich durch die Rechnung, aber ich gab die Hoffnung trotzdem nicht auf, da sich solche Alarmnachrichten meistenteils hinterher als weit übertrieben oder sogar als ganz falsch erwiesen hatten.

Wir hatten an diesem Tage den ersten Renntag des "Winter-Sport-Vereins", und es sollte mir zum letzten Male auf chinesischem Boden gelingen, eins meiner Tiere zum Siege zu steuern."Peter" kanterte in einem 1200 Meter Flachrennen einfach dem ganzen Felde weg und gewann leicht wie er wollte."Dr. H."wurde einmal dritter hinter einem totes Rennen laufenden Ponypaar und einmal zweiter.Das war wenigstens noch ein hübscher Abschluß, der meine etwas gesunkene Laune wieder hob.

In den nächsten Tagen machte ich mich daran, eine neue Reiseroute mit der sibirischen Eisenbahn zu studieren, aber ich hatte Glück, denn schon die Zeitungen brachten Dementis der Alarmnachrichten, und am 29.Dezember erhielt ich Nachricht, daß ein neues Schreiben seitens der Gesandtschaft eingelaufen sei, welches alle früheren Angaben als erfunden bezeichnete, daß die Provinzen Schensi und Kansu ruhig seien und daß somit meinem beabsichtigten Ritte nichts mehr im Wege stände.Auf Befragen blieb ich selbstredend bei meinen früheren Absichten bestehen und hatte nur noch die endgültige Genehmigung des Generals abzuwarten.Diese traf am 30.Dezember ein, und zugleich wurde mir mein chinesischer Reisepaß ausgehändigt.Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ich diesen endlich in Händen hatte, denn nun konnte ich wirklich fort.Es war aber auch höchste Zeit, denn ich hatte noch keinen Pony und mußte auch noch meine gesamte Ausrüstung zusammenstellen.Letztere war fast dieselbe wie im Herbst zum Ritt durch Schansi, nur einiges kam hinzu, wobei ich als wesentlichstes den Karabiner, photographischen Apparat und mehr Pelzsachen anführen will[1]Dank der Liebenswürdigkeit und dem Entgegenkommen der Kameraden war ich bald im Besitz guter, erprobter Tiere, von denen sich später besonders der von Leutnant Brandt erstandene und nach ihm "Schorsch" getaufte Pony, der gute Dicke, besonders bewähren sollte.Es war ein Dunkelfuchs, 8 Jahr alt und 13 hands (52 Zoll) groß; als zweiten Pony nahm ich einen 13jährigen, 13,1 hands (53 Zoll) großen Dunkelbraunen, namens "Nepomuk" mit.Dieser war als Beißer und Schläger bekannt, hatte aber vier tadellose Beine und galt als sehr ausdauernd."Schorsch" war ein gutes Gebrauchstier, sehr gutmütig, nicht schnell, hat mir aber von meinen drei Tieren, zu welchen eine edle 8jährige dunkelbraune australische Stute "Witwe Bolte" gehörte, die bei weitem besten Dienste geleistet.

[1] Die Gesamtausrüstung siehe S.78

Englischer Krankenwagen (Djanjibhoy) von den Offizieren als Krümperwagen benutzt

Der Paß vom Konsulat traf ein, ebenso erhielt ich durch die liebenswürdige Vermittlung unseres Konsuls ein offenes Empfehlungsschreiben des russischen Konsuls für die russischen Behörden, und einen geschlossenen Brief an das Generalkonsulat zu Kaschgar, die erste russische Behörde, die ich auf meinem langen Wege antreffen würde.

Die wenigen mir noch fehlenden Ausrüstungsstücke waren bald besorgt, und das Abschiedfeiern, ohne das es hier in Ost-Asien einmal nicht geht, fing an, um bis zum 4.Januar 1903, dem Tage meines Abrittes, zu dauern.

Das offizielle große Abschiedsessen für alle Anfang Januar nach der Heimat Zurückkehrenden war schon am 23.Dezember gewesen.Eine um so größere Freude bereitete es mir, als zehn meiner Freunde am 1. Januar mir noch ein besonderes Abschiedsdiner gaben. Am 2. Januar meldete ich mich dienstlich überall ab und erhielt von meinen Vorgesetzten manches liebenswürdige Wort mit auf die Reise.

Am 3.Januar wurde alles probeweise fertig gepackt und mit Hilfe unseres Batteriesattlers noch manches geändert.

Am Abend war ich nochmals ins allgemeine Kasino eingeladen; Oberstleutnant von Kronhelm hielt eine mir zu Herzen gehende Rede, und ich merkte erst jetzt, wie schwer mir der Abschied von so vielen liebegewordenen Freunden und Kameraden fiel, mit denen ich hier Jahre lang zusammen gelebt und gewirkt hatte.Bis zum frühen Morgen saßen wir zusammen, Parademarsch auf Stühlen und der übliche Abschiedsschnaps im Korridor machten den Abschluß der unvergeßlichen Feier.Es war höchste Zeit, denn Frau Sonne färbte den Horizont schon leicht purpurn, und ich mußte mich ans Satteln der Pferde machen, da um Punkt 9 Uhr abmarschiert werden sollte.Mir kam es so vor, als ob ich statt drei Tiere deren sechs mitnahm; aber es war der letzte Tropfen Alkohol bis zum Kaspischen Meere gewesen.

Verzeichnis der auf dem Ritt durch Zentral-Asien mitgeführten Pferde und Ausrüstungsstücke.

  • Witwe Bolte, australische Stute, 8jährig, dunkelbraun.
  • Schorsch, chines.Pony, 8 Jahr, Dunkelfuchs, 13 Hands.
  • Nepomuk, chines.Pony, 12 Jahr, dunkelbraun, 13,1 Hands.
  • 2 Offizierbocksättel mit kleinen Vorderpacktaschen.
  • 1 Armeesattel mit Packtaschen, Vorder- und Hinterzeug.
  • 1 englischer Sattel.
  • 3 Halfter mit Trensen und Anbinderiemen; Reserveriemen.
  • 6 große Woilachs.
  • 1 Paar Hinterpacktaschen.
  • 1 Paar große schweinslederne Packtaschen.
  • 1 Mantelfutteral aus Leder.
  • 1 Kamelhaardecke,
  • 1 halbseidene Decke.
  • 1 Pferdedecke.
  • 2 Filzunterlegedecken.
  • 1 Schlafsack.
  • 1 Katzenfelldecke mit Tuch gefüttert.
  • 1 Obergurt.
  • 1 langer lederner Führriemen.
  • 1 wasserdichte Lagerdecke.
  • 1 schwerer (englischer Winterkhaki) Rock mit Biberkragen und Pelzfutter.
  • 1 graue Rockbluse.
  • 2 graue Reithosen mit Lederbesatz.
  • 1 Schafspelz.
  • 1 Paar Pelzhandschuhe.
  • 1 Lederjacke.
  • 2 blaue Sweater.
  • 4 wollene Hemden.
  • 1 seidenes Hemd.
  • 3 wollene Unterhosen.
  • 2 Paar hohe Kniestrümpfe.
  • 4 Paar wollene Strümpfe.
  • 1½ Dutzend Taschentücher.
  • 4 seidene Halstücher.
  • 1 Paar Pulswärmer.
  • 2 große, 6 kleine Handtücher.
  • 2 Pelzmützen.
  • 1 Kopfkissen.
  • 1 Regenmantel.
  • 1 Baschlik.
  • Waschzeug, Rasierzeug, Nähzeug, Verbandzeug, Bindfaden, Sattlernadeln.
  • 1 Paar hohe Filzstiefel.
  • 1 Paar schwere Schnürstiefel.
  • 1 Paar englische Gamaschen.
  • 1 silberne Uhr mit Kette.
  • 1 Nickeluhr.
  • 1 Brustbeutel mit 4 Zwanzigmarkstücken.
  • 1 Kodak mit 16 Dtzd.Films in lederner Tasche.
  • 1 Thermometer in Lederfutteral.
  • 1 Feldflasche mit Becher und Riemen.
  • 1 Zeiß-Fernglas mit Futteral.
  • 1 Patronengürtel für 8 Rahmen Karab.8 mm und 2 Rahmen Mauserpistole.
  • 1 langes Jagdmesser in Lederscheide mit Gehenk zum Anbringen am Sattel.
  • 2 Taschenmesser (Nicker).
  • 1 Kompaß.
  • 1 chinesische (große) Visitenkartentasche.
  • Deutsche und chinesische Visitenkarten.
  • 4 Kneifer.
  • 2 Staubbrillen.
  • 1 Handspiegel.
  • 1 Laterne mit Lichtern und Streichhölzern.
  • 1 Paar Hausschuhe.
  • 1 Geldwage.
  • 1 Eßbesteck im Beutel.
  • 1 Aluminiumbecher.
  • 1 Koppel als Leibgurt.
  • 1 Paar Hosenträger.
  • 1 Gummiwaschbecken.
  • Schreibpapier.
  • Tintenfaß, Tinte.
  • Federhalter, Bleistifte, Buntstifte, Zirkel, Siegellack, Krokiertasche mit Block, Federn, Notizbuch, Glyzerin.
  • 2 Bände Sven Hedin "Durch Asiens Wüsten".
  • Möllendorfs Chinesische Grammatik.
  • Feller: Deutsch-Englisch, Französisch-Chinesisches Wörterbuch.
  • Karten aus dem großen Debesschen Atlas.
  • Eine Banknotentasche, enthaltend: Chinesischen Reisepaß, Reisepaß vom Deutschen Konsulat in Tientsin, visiert vom russischen Konsul, Reisepaß von der Besatzungsbrigade, Reisepaß vom russischen Konsulat Tientsin, Soldbuch, einen Kreditbrief über 850 Rubel auf die Banque Russo-Chinoise in Kaschgar.
  • 1 Mauserkarabiner, neuestes Militärmodell, als Jagdkarabiner umgeändert, mit 120 Patronen.
  • 1 Mauserpistole im Holzfutteral mit 160 Patronen.
  • Gewehr-Putzzeug.
  • Konserven für 20-30 Tage.
  • 372 Taels Silber (etwa 1000 Mark). Alles in Silberschuhen der verschiedensten Größen. (Siehe Kap.I.)

Zum III.Kapitel.

Über Taiyuanfu zur alten Kaiserstadt Hsi Ngan Fu
32 Marschtage - 1280 Kilometer. Durchschnittsmarschleistung 40,0 Kilometer

III.KAPITEL.

Über Taiyuanfu zur alten Kaiserstadt Hsi Ngan Fu.

4.Januar.Allmählich sammelte sich in meiner Wohnung eine Menge guter Freunde und Kameraden, die mir noch zum Abritt das Geleit geben wollten.Pünktlich war alles fertig, der unvermeidliche chinesische Photograph nahm einige Bilder auf, und in Begleitung von zehn Freunden gings ab nach dem Westtor der Chinesenstadt.Dort bekam ich noch drei Hurras auf den Weg, dann zog ich mit dem Grafen Seyboltstorff, der mich zwei Tage weiter begleitete, ab, dem weiten Ziele am andern Ende Chinas zu.

Mit dem Wachtmeister der Batterie über den am ersten Tage zu nehmenden Weg beratschlagend

Wir ritten heute nur eine mäßige Strecke, da die Tiere zu wenig einmarschiert sind, im übrigen gingen diese recht gut.In Yangliu-tsing, dem alten Boxernest, kamen wir leidlich unter.Am Abend hatte uns der Wirt, da es empfindlich kalt war, eines von den mit glühenden Holzkohlen gefüllten Kohlenbecken ins Zimmer gestellt.In der Nacht wachte ich mit entsetzlichem Herzklopfen auf und sah, wie Graf Seyboltstorff, der sich vom Kang erhoben hatte, mehrfach hinfiel, erst jetzt wurde mir klar, in welch schwerer Lebensgefahr wir beide geschwebt hatten, wir wären um ein Haar an den Kohlenoxydgasen erstickt.Gott sei Dank war ich noch rechtzeitig erwacht, um die Türen aufzumachen und so nicht von demselben Schicksal ereilt zu werden, wie einst der unglückliche Graf York. Den ganzen nächsten Tag litten wir noch unter den entsetzlichsten Kopfschmerzen.

Die Witwe Bolte, gepackt

Nepomuk erwies sich als ein ganz gefährlicher Beißer; gleich beim Satteln morgens riß er einem unglücklichen Chinesen ein großes Stück Fleisch aus dem Arm heraus; die Stute bewährte sich sehr gut.Wir waren gegen 8 Uhr abmarschiert, und schon nach einer Stunde befanden wir uns in einem starken Staubsturm aus Norden.Da der Sturm immer stärker wurde, versuchten wir in einem der am Wege liegenden Dörfer unterzukommen und fanden schließlich für Mann und Pferd in dem Nebengebäude eines Dorftempels Unterkunft.Die Leute waren sehr freundlich und brachten alles, was wir wünschten.Wir delektierten uns an einer von einem Kameraden von den Pionieren geschenkten sehr schönen Wurst.Das Unwetter wurde gegen Abend ganz toll, so daß wir schließlich im Sand halb erstickten.Trotzdem schliefen wir ganz gut und sogar ohne Ungeziefer.

Am 6.Januar morgens, bei herrlichstem Wetter und 16 Grad Kälte, ging es weiter.Ich sagte dem Grafen Lebewohl; der Abschied von meinem besten Freunde fiel mir recht schwer, aber wir hofften auf ein vergnügtes Wiedersehen in Deutschland.Während er nach Tientsin zurückritt, marschierte ich nach Südwesten weiter.Mein dicker Schorsch hatte über Nacht einen schweren Hieb rechts hinten gegen das Schienbein bekommen und lahmte leider; trotzdem trabte ich weiter, immer nach dem Ta-dau (großer Weg) fragend, jedesmal ein verständnisvolles "ang-ang" (ja, ja) zur Antwort erhaltend; also das Geschäft mußte richtig sein.

Daß ich mich aber auf dem großen Wege nach Pautingfu und nicht nach Ho-kien-fu, wo ich eigentlich hin wollte, befand, ahnte ich in meiner Unschuld nicht.Bei Wegteilungen drängte ich stets nach Südwesten, wurde aber immer wieder mit einer lächerlichen Beharrlichkeit auf den alten Weg zurückgewiesen.Schließlich waren wir vor einer Stadt, die sich auf Befragen zu meinem nicht geringen Ärger als Wönn An herausstellte.Daß mir, als altem erfahrenen "Chinakenner", so etwas zustoßen mußte, war eigentlich ein Skandal.Nachdem ich meinen Ärger an dem armen Mafu, der gar nichts dafür konnte, genügend ausgelassen hatte, ging die Reise weiter, nunmehr auf Jönn kiu zu.

Leutnant v.Salzmann, Oberleutnant Graf Seyboltsstorff

Kurz hinter Wönn An kam mir ein Mandarinkarren entgegen, und aus demselben sprangen zwei recht gut angezogene junge Chinesen, die mich mit deutschen Worten freundlichst begrüßten.Ich bekannte sofort, daß, ich Deutscher sei, zumal ich in meiner Nordpolfahrerausrüstung immerhin für alles andere gehalten werden konnte, als für einen Offizier.Die Freude war groß, ich mußte umdrehen, um der sehr liebenswürdigen Einladung in das Haus des einen nach Wönn An Folge zu leisten.Noch niemals bin ich von gänzlich unbekannten Chinesen mit einer derartigen Herzlichkeit aufgenommen und weiterhin behandelt worden.Man sieht also, daß der Umweg noch zu einem guten Ende führte.

Mein Mafu grinste, wahrscheinlich schadenfroh, ich weiß es aber nicht genau, da er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit grinste.Jedenfalls glaubte er, infolge meiner so plötzlich umgeschlagenen Laune, nun auch seinerseits etwas dazu beitragen zu müssen, indem er das Pferdeputzen am andern Morgen durch einen verlängerten Schlaf ersetzte.Die beiden jungen Chinesen hatten in Peking Deutsch gelernt; natürlich mußten sie sich in mein unvermeidliches Fremdenbuch eintragen, was denn auch in deutscher Schrift, mit einem Riesenklecks als Beigabe, erfolgte.Ich wurde nun erst ordentlich abgefüttert, was mir sehr wohl tat; dann mußte ich die ganze Stadt unter ihrer Leitung besichtigen und wurde noch einigen Verwandten und Bekannten, alles sehr gut gestellte Kaufleute, vorgeführt.Den Abend verbrachte ich so in ganz angenehmer Gesellschaft; natürlich mußte ich alle Schreibstudien usw.ansehen und kann nur meine Hochachtung vor dem Fleiß der erst sechzehnjährigen Menschen ausdrücken.

Abmarsch von Tientsin

Am nächsten Morgen, den 7.Januar, nahm ich Abschied.Mein Mafu vergaß noch den Zeiß, wahrscheinlich in seinem Trennungsschmerz; Gott sei Dank wurde er mir im Galopp nachgebracht, es wäre doch ein sehr harter Verlust gewesen.In den nächsten Tagen marschierte ich nun über Jönn kiu, Sü-ning, Anping nach Tschönn ting fu.Ich nahm immer noch nicht mehr als 30 Kilometer täglich, da die Tiere infolge des ungewohnten harten Nachtlagers recht müde waren, auch war der gute dicke Pony, wie schon erwähnt, von der Witwe rechts hinten lahm geschlagen, so daß er uns etwas aufhielt.Viel zu erzählen ist aus den kleinen Löchern eigentlich nicht.Die Menschen waren überall dort, wo fremde Garnison gelegen hatte, und das war fast bei allen der Fall, geradezu ekelhaft zudringlich, wie es mir niemals früher in gleichem Maße begegnet ist.Sehr gut zog sich der Mandarin von Anping aus einer Affäre; er schickte mir, als ich kaum zehn Minuten im Orte war, ein ganz vorzügliches Diner, das ich dankend annahm.Der Mafu erwies sich nicht gerade als eine Perle besonderen Ranges. Pferdeputzen vermied er möglichst, nebenbei war es ihm ganz gleichgültig, ob die Pferde getränkt waren oder nicht, so daß man ihm dauernd auf die Finger sehen mußte. Außerdem sprach er ein Chinesisch, das mir reichlich unverständlich war, Kalganer Platt. Er war nicht nur schmierig, sondern auch feige; jeden Abend kam er untersuchen, ob ich auch die Mauserpistole unter das Kopfkissen gelegt habe.

Abmarsch von Tientsin

Am 8.und 9.Januar hatten wir Staubsturm, am 10.Januar fanden wir in Wu-die ein miserables Unterkommen.Das Volk ist hier ganz besonders frech; überall hörte man das Yang-quetze (fremder Teufel), und mehrfach wurde mit Steinen nach mir geworfen, bis ich mir einen der Hauptübeltäter herausgriff und ihn etwas unsanfte Bekanntschaft mit meiner Reitpeitsche machen ließ.Außerdem schickte ich zum Yamen und ließ dem Mandarin sagen, daß, falls ich nicht sofort Ruhe bekäme, ich mich direkt bei dem Vizekönig in Tientsin beschweren würde; das half, denn ich bekam einige Infanteristen als Posten und hatte von nun an Ruhe.Am 11.Januar kamen wir in Tschönn ting fu an und in demselben Gasthaus, wie im Oktober, unter.Ich wurde auch sofort wiedererkannt und freundlich bewillkommnet.Am Abend traf noch ein sehr hoher Mandarin, der nach Hsi Ngan Fu zog, mit unendlichem Troß ein.Die Diener spielten sich als Hauptstädter ganz besonders wichtig auf.

Am nächsten Morgen stellte sich Kavalleriebegleitung ein, die mir der Yamen gegen meinen Willen geschickt hatte.Die Leute benahmen sich sehr anständig und halfen mir, wo sie nur konnten.Ich kann auch den Kavalleristen, die ich fernerhin zur Begleitung bekam, nur dasselbe Zeugnis ausstellen; nie hat mich einer angebettelt, im Gegenteil, sie verweigerten sogar die Annahme von Essen oder Futter für ihre Pferde und waren stets ängstlich besorgt, daß ich ihnen auf die zur Rückkehr als Ausweis mitgegebene Visitenkarte etwas Anerkennendes schrieb.

Mafu Tsai Ming Yü auf "Schorsch"

Wir überschritten den Hu to Ho auf einer neu erbauten Brücke, die im vergangenen Herbst noch nicht vorhanden war, dann ging es wieder durch die entsetzlich staubigen Hohlwege auf Huolu zu.Unterwegs gab es mehrfach Aufenthalt durch entgegenkommende Wagen.Die Kavalleristen zwangen die Führer jedesmal, die Karren bis an die nächste Ausweichestelle zurückzustoßen.Schon der steile Paß von Huolu fiel der Witwe sehr schwer, sie stolperte mehrfach und sah recht müde aus.In Huolu ließ ich abfüttern und wurde in dem Gasthause von Leuten, die mir alles mögliche aufhalsen wollten, umlagert; natürlich ohne Erfolg.Ich kaufte nur einige Portionen vorzügliches geräuchertes Fleisch für die nächsten Tage.Es war hier ein sehr gutes Gasthaus, dessen erster Bedienter mir seine Verachtung, wegen meines gänzlichen Versagens als melkende Kuh, durch völliges "Schneiden" ausdrückte.Da wir einen sehr schwierigen Aufstieg zum beabsichtigten Nachtquartier hatten und doch auf den felsigen Wegen nicht reiten konnten, verteilte ich das Gepäck auf alle drei Tiere, und trotzdem wurde ihnen der Marsch recht schwer.Ich bekam vier Kavalleristen zur Begleitung mit; wir begegneten unterwegs einer Eselkarawane nach der andern, meist Kohlen zu Tal bringend. Vereinzelt trafen wir Gebirgs-Sänften.

Kavallerist in Chili

Am Abend mietete ich noch für 200 Cash einen Esel zum Gepäcktragen nach Tsing-hsing.Beim Abmarsch am 13.Januar früh war der Mann mit dem Esel natürlich nicht da; die Frau hatte sich geweigert, dem fremden Teufel den Esel zu borgen, also wurde das Gepäck wieder auf die Stute gepackt, und in Begleitung eines Kavalleristen — die drei andern hatten sich verkrümelt — ging es weiter.Die Pässe waren ein Herauffallen und Herunterfallen für die des Kletterns über die Felsblöcke gänzlich ungewohnten Pferde, hauptsächlich die Stute und der dicke Pony brachten sich beinahe um.Es hatte sich noch ein Reisebegleiter eingefunden, der schon gestern da war und in demselben Gasthause übernachtet hatte; es schien so eine Art Yamenbeamter aus Tschönn ting fu zu sein, der mir zur Aufsicht mitgegeben war; im übrigen sorgte er ganz gut für uns und zeigte uns den Weg.In Tsing-hsing erschien ein neuer, während der alte Beamte die übliche Bescheinigung über anständiges Benehmen seinerseits verlangte und auch erhielt.

Der Weg hatte sich mehr und mehr belebt; große Maultier- und Eselkarawanen kamen uns entgegen, meist mit Kohlen beladen.Jedes einzelne Tier dieser Karawanen kannte seinen Weg ganz genau, denn selten sah man die Führer einmal eingreifen; nur von hinten hörte man ihr "Hoho, tata", oder "wowo"; jeder dieser Laute hat seine besondere Bedeutung, die die Tiere ganz genau kennen.Wenn eines mal nicht gehorchte, bekam es einige, kaum zu wiederholende Schimpfworte zu hören, seltener eins mit der Peitsche übergehauen; dann ging es sofort wieder ordentlich auf seinem Fleck. Fast alle hatten Maulkörbe um, damit sie unterwegs nicht stehen blieben, fraßen und dadurch die Marschordnung störten. An bestimmten Stellen des Weges werden Misthaufen angelegt, an denen die Tiere Halt machen, um sich zu erleichtern. Das ist tatsächlich kein Märchen, denn ich habe oft Gelegenheit gehabt, es zu beobachten. Dünger ist hier recht teuer, und es darf nichts verloren gehen; außerdem sah man überall kleine Jungen, die Mist aufsammelten. Beladen waren die Tiere mit zwei kreuzweise über den Sattel gelegten Säcken, oder mit zwei rechts und links am Packsattel befestigten Körben.

In Tsing-hsing ließ ich mir vom Yamenbeamten ein Maultier zum Gepäckschleppen besorgen.Der Weitermarsch war äußerst anstrengend, und als wir am Abend in Ho-tau-yüen, einem kleinen Gebirgsnest, anlangten, waren die Tiere derartig müde, daß sie sich sofort hinlegten und zuerst nicht fressen wollten.Nach dem üblichen Zank mit dem Wirt, der anfangs Silber nicht wechseln wollte und mich dann beim Wechseln zu betrügen versuchte, ging es am 14.Januar bei eisigem Winde weiter; Soldaten, Yamenbeamter, alles zog weiter mit.Die Kavalleristen wechselten mehrfach.Mir kamen die Wege sehr viel schlechter vor als im vergangenen Herbst; es mochte daran liegen, daß ich das letzte Mal mit in Gebirgstouren eingeübten Pferden marschierte.Der Verkehr war wie gestern; wir begegneten einem durch einen Infanteristen eskortierten Dieb, der auf dem Yamen Bambus-tschau-tschau[2] bekommen hatte. Er wurde von zwei Kulis in einem an einer Stange hängenden Korbe getragen und stöhnte ganz jämmerlich. Das Tragetier wurde einmal gewechselt, was sehr schnell ging. Meine kleine Karawane war jetzt schon ganz gut eingespielt: vorn marschierte ein Kuli mit dem Packpferde, alles andere lief lose hinterher ohne Führer, immer ein Tier hinter dem andern; jedes suchte sich so selbst seinen Weg zwischen den Felsblöcken. Hinten ging der Mafu, dann kam ich, zuletzt der Kavallerist.

[2] Bambus-tschau-tschau nennt der Europäer in China die auf dem Yamen verabreichte Prügelstrafe mit dem Bambusstock.

Ich blieb die Nacht in Hsilau-tou, und zwar in derselben Herberge, die ich im Herbst inne hatte; in der Nacht stand ich einmal auf, da die Pferde sehr unruhig waren, und faßte einen Chinesen beim Futterstehlen ab.Ich denke, er wird es ein zweites Mal nicht wieder tun.Merkwürdig war es, daß die meisten Leute meine große Stute zuerst für ein Maultier hielten; allmählich erst kamen sie dahinter, daß es ein Pferd war.

Am 15.Januar ging es weiter nach Pingting tschau.Einmal hatten wir links eine Tempelanlage, von einem bewaldeten Berge überragt; der Anblick bildete eine sehr angenehme Abwechslung in dem ewigen öden Grau in Grau. Allmählich trat Staubsturm ein.

Merkwürdig ist hier der außergewöhnliche Unterschied von Ort zu Ort in Maßen, Gewichten und Preisen; man weiß daher beim Einkauf auch nie, woran man eigentlich ist.In Pingting tschau schickte der kommandierende Offizier zu mir und ließ fragen, ob ich die Stute nicht verkaufen wollte.Ich forderte 500 Taels, was ihm etwas teuer zu sein schien; denn er ließ dann nichts mehr von sich hören.

Meine beiden Ponies

Abends waren wir in Ching Ching, wo die Leute im Orte eine Art Ring geschlossen zu haben schienen, denn die Preise waren wirklich geradezu unverschämt.Mir hatten sie meinen Kang überheizt, so daß ich infolge der Hitze sehr schlecht schlief und mich auch obendrein noch erkältete.Auch am 16.Januar hielt der Staubsturm noch an.Wir gingen fast den ganzen Weg zu Fuß, halb im Laufschritt, um uns einigermaßen warm zu halten; so kamen wir ziemlich schnell vorwärts.Hinter Tu-hsi-ling ging es über einen hohen Paß, und mit einem Schlage waren wir aus den Felsbergen heraus und mitten im Löss mit seinen scharf eingeschnittenen, tiefen Schluchten, in die der Wind nicht mehr hineinkommen konnte.

Wir landeten heute in Schau yang, in dem ich zum ersten Male die unangenehme Entdeckung machte, daß mein großes Pferd leicht am Widerrist gedrückt war.Abends ließ der Yamen noch anfragen, warum ich nicht dort Logis genommen hätte.Jetzt war es zu spät dazu, etwas früher wäre ich ganz gern hingegangen.Bei der Stute hatte sich ein Schwein einlogiert, was das Pferd sehr aufregte, das Tier war aber nicht wegzubringen.Der 17.Januar brachte uns am Morgen 15 Grad Kälte; die armen Pferde in ihren offenen Ställen froren sehr und waren beim Abmarsch ganz steif. Es ging weiter durch Lößschluchten auf staubigen, wenig belebten Wegen; nur ab und zu kam uns ein Karren oder ein einzelner Reisender entgegen. Jeder führt seine Hausfahne, ein dreieckiges, berandetes und mit seinem Namen bezeichnetes Stück Zeug, mit sich, je nach Geldlage in reicher oder einfacherer Ausführung; bei den Reitern, die es hinten am Gepäck herausstecken haben, sieht das ganz spaßig aus.

Taiyuanfu.Mauer am Futai Yamen

Nach einer recht schlecht verbrachten Nacht, mir mußte irgend etwas im Magen gelegen haben, ging es weiter.Zweimal wurde ich in kleinen Ortschaften angehalten und nach meinem Paß gefragt; schließlich gelangten wir ganz in die Ebene, und gegen vier Uhr nachmittags ritten wir in das ersehnte Taiyuanfu ein und wurden von dem liebenswürdigen Direktor der Schansi-Universität und seiner ebenso liebenswürdigen Gemahlin willkommen geheißen und aufgenommen.Es war alles da, was der Mensch zu seiner Bequemlichkeit gebrauchte, und bei der Herzlichkeit, mit der es gegeben wurde, fühlte man sich gleich wie zu Hause.Wie ich schon im ersten Kapitel berichtet habe, hatte ich die gastfreien Leute auf meinem letzten Ritt im Herbst 1902 kennen gelernt.Zuerst unterzog ich meinen äußeren Menschen einer gründlichen, ebenso notwendigen wie angenehmen Reinigung; dann schwelgte der innere Mensch in den Genüssen der hervorragend geleiteten Küche.Die Stadt sah noch genau so aus wie im Herbst.

Ich war dieses Mal auch in mehreren Kuriositätenläden und kann nur jedem Sammler zuraten, einen Ausflug nach Taiyuanfu zu machen; denn hauptsächlich in Jett, Bronze und Porzellan findet er hier eine Auswahl zu billigen Preisen, wie wir sie nur seiner Zeit im letzten Drittel des Jahres 1900 in Peking erlebt haben.Das waren damals noch schöne Zeiten für den Sammler, als man, ahnungslos vom wirklichen Wert, die vom klugen Chinesen sorgfältig zusammengestohlenen Sächelchen billig kaufte.Aber auch für den Briefmarkenfreund hat die chinesische Regierung liebevoll gesorgt.Da besteht ein nett eingerichtetes Postamt, auf dem man sein sämtliches Geschreibsel zu billigem Preise an einen vorzüglich Englisch sprechenden Chinesen zur Beförderung los werden kann.Sonst ist hier wenig Interessantes; daß die Tempel zusammenfallen, die Löwen oder Hunde vor denselben schon halb in die Erde versunken sind, ist ja eigentlich selbstverständlich in China.Erwähnenswert ist höchstens eine Waffenfabrik, die nach Kruppschen Modellen schlechte Gewehre und Kanonen fertigt.Ich möchte nicht unter der Bedienung desjenigen Geschützes stehen, das zum ersten Male scharf feuert; ich halte für sicher, daß infolge der glänzenden Wirkung auf die eigene Bedienung der Rest der Batterie auf ein weiteres Schießen verzichten wird, doch: ut desint vires tamen est laudanda voluntas.

Taiyuanfu.Drachenmauer aus Porzellan im Chang Chuang Miau (Großer Stadttempel)

Die Universität, in der ich so freundlich aufgenommen wurde, blüht und gedeiht; sie zählt jetzt schon 200 Studierende, gegen 45 im Oktober vorigen Jahres.Sie erfreut sich der Gunst des Gouverneurs, was viel, wenn nicht alles für eine derartige Anstalt bedeutet.Bemerken muß ich dabei, daß man den schlechten Sekt, den er zu seinen sonst opulenten Diners gibt, auch hier im Innern nicht schätzt; die Kopfschmerzen sollen von denen, die man von der gleichen Marke in Deutschland bekommt, nicht zu unterscheiden sein.Die Studenten machen in Jura, Chemie, Sprachen, Ingenieurwesen usw.ihre Studien, nebenbei treiben sie auch Sport; ich sah Fußball, Tennis usw.spielen.Die Hörsäle sind mit den modernsten Erzeugnissen ausgestattet, man sieht da unter anderm ein Lesezimmer mit einer sehr reichhaltigen Zeitungsauslage, ein chemisches Kabinett, ein naturwissenschaftliches und anderes mehr.Vorläufig sind die Studenten noch in einem gemieten Yamen, mit übrigens sehr schönen Räumen, untergebracht.Die Neubauten auf eigenem Grund und Boden sind schon im Gange und ihre Fertigstellung steht noch im Laufe dieses Jahres zu erwarten.Schlechte Beispiele verderben gute Sitten, so sagt man auch hier; denn, nachdem der Gouverneur Chau-fu in Tsing-tau die Schulen besichtigt und Prämien ausgeteilt hat, konnte der hiesige Gouverneur dies natürlich auch nicht unterlassen, sehr zum Leidwesen der Studenten.Selbstredend sind auch chinesische, fremder Sprachen mächtige Hilfslehrer vorhanden.Einer derselben beteiligte sich am Fußballspiel, ohne seinen kostbaren Pelz auszuziehen; natürlich trat er sich bald auf seinen langen Frack und fiel zum allgemeinen Gaudium lang hin; tout comme chez nous.

Von Tung-fu-hsiang und Tuan waren wiederum erneute Gerüchte, die sich mehr und mehr verdichteten, hierher gelangt; erster wirbt im weiten Umkreise um seinen jetzigen Standort Heichengtse in Kansu Rekruten.Er kauft Getreide und Tiere im Lande auf, und da es dabei mehrfach zu Tätlichkeiten zwischen seinen Parteigängern und der Bevölkerung gekommen ist, zog ich vor, ihm nach Süden zu auszuweichen und hierbei die Gelegenheit zu benutzen, mir Hsi Ngan Fu, die alte berühmte Kaiserstadt, anzusehen.Meine Pferde hatten sich in zwei Ruhetagen sichtlich erholt und waren frisch und munter.

Am 21.Januar früh nahm ich Abschied von der gastfreien Universität, um mich meinem neuen Reiseziele Hsi Ngan Fu zuzuwenden.Ich beabsichtigte, die Stadt in 18 Tagen zu erreichen.Drei Herren der Universität begleiteten mich zu Pferde noch bis zum Tor hinaus.Außerhalb desselben fand gerade eine Parade der gesamten Garnison statt.Diese sahen wir uns schnell noch an, dann verabschiedete ich mich auch von meinen Begleitern und zog auf den knietiefen staubigen Wegen weiter.Auch mir wäre ein Regen nicht unangenehm gewesen, das Land hatte denselben dringend notwendig.Der Staub überzieht bald alles grau in grau, man kann sich durch nichts vor ihm schützen. Die Sänftenträger der Kaiserin-Witwe, die hier vor einem Jahre entlang gezogen ist, sind nicht zu beneiden gewesen, wenn man bedenkt, daß jedem Versagenden ohne weiteres der Kopf heruntergeschlagen wird.

Infanterie im Marsch.Taiyuanfu

Beim Geldwechseln wurden mir eine Menge zu kleiner Cash in den Cashrollen gegeben; ich hatte es zuerst nicht gemerkt, erst später fiel es mir unangenehm auf, da kein Mensch das zu kleine Geld nehmen wollte.Das ganze Land ist hier von Kanälen durchzogen, die quadratisch angelegt sind; augenblicklich sind die meisten derselben völlig versandet, ebenso wie die hier überall vorhandenen Schleusen gänzlich vernachlässigt sind; wie es zur Zeit der Frühjahrsbestellung aussehen mag, weiß ich nicht, wahrscheinlich auch nicht anders.Die Kanäle werden vom Fönn-Ho gespeist, in dessen Tale wir jetzt entlang marschierten.Der Verkehr war nicht sehr stark, aus dem Süden kommende Karren zogen nach Kalgan mit Tabak, Fett in Behältern, die wie unsere großen Petroleumbehälter aussehen, außerdem noch Salz.Aus Norden wird Seife in großen Stücken gebracht; die Chinesen nennen es Seife, in Wirklichkeit ist es ein schwammartiger, weicher Stein, der in Formen gepreßt ist mit der Firmenmarke darauf.

In den Gasthäusern und auf den Straßen war das ausschließliche Interesse der Leute auf mein großes Pferd gerichtet, wo ich mich nur sehen ließ mit meiner Witwe Bolte, brüllte alles gleich: "meio jiba" (der Schwanz fehlt).Das gute Tier hatte nämlich eine kupierte Rübe, war also nach chinesischem Schönheitsbegriff vollkommen entstellt. Ach, wenn die gute Witwe einen langen Fasanenschweif gehabt hätte, dann hätte ich mich nicht täglich über die entsetzliche Freude der Chinesen über das "schwanzlose" Tier zu ärgern brauchen. Das ist eben Geschmacksache, wir Europäer lieben nun einmal kurze Schwänze beim Pferd, und deswegen gleich zu behaupten, das Tier hätte gar keinen Schwanz, war eigentlich unverschämt.

Chinesische Gebirgsartillerie in Taiyuanfu

Meine tägliche Speisekarte war meist höchst einfach.Leider bin ich selbst kein großer Koch, und mein Mafu Tsai war auch alles andere eher, als ein Kochkünstler.Heute z.B.war hier wieder einmal kein Fleisch aufzutreiben; es gab Hsiau-mi (Grütze) mit Zucker, dann fünf Eier, Brötchen und Tee; zum Nachtisch gabs gefrorene Kakis, die bekannten gelben Früchte.Mit meiner braven Stütze kämpfte ich einen täglichen Kampf um das allmorgendliche Pferdeputzen.Er meinte, es wäre nicht notwendig, ich meinte das Gegenteil, leider sah ich es schon kommen, daß ich bei der bekannten Dickfelligkeit des Chinesen in solchen Sachen doch noch unterliegen würde.Wahrhaft glänzend dagegen war sein Appetit zu nennen, um den ich ihn beneidete; seine allmorgendliche Rechnung für Essen betrug immer die Hälfte mehr als die meinige, obwohl er mich nicht beschwindelte.

Die nächsten Tage brachten keine Abwechslung; am 23.Januar morgens entließ ich meine beiden Kavalleristen aus Taiyuanfu.Sie waren sehr besorgt, daß ich ihnen auch etwas Gutes auf die als Ausweis mitgegebene chinesische Visitenkarte schrieb.Da sie sich in jeder Beziehung als nützlich und hülfreich erwiesen hatten, tat ich es auch gern.Der Druck der Stute war wieder derartig angelaufen, daß ich es vorzog, mir vom Yamen eine Karre geben zu lassen.Da sämtliches Gepäck, auch die Packtaschen der Pferde, auf die Karre gepackt wurden, ging die Reise jetzt sehr viel schneller vorwärts. Ich hatte auch wieder die alte Regel eingeführt, daß der Mafu zum Quartiermachen vorausgeschickt wurde; abends fand ich dann einen geheizten Kang vor, das Pferdefutter war eingekauft, und er hatte sich bereits erkundigt, was es zu essen gab.

Chinesischer Ehrenbogen in Schansi Ping yang schöng

Man sah schon viele gänzlich zerstörte Dörfer; denn der letzte Aufstand der mohammedanischen Chinesen hat seine Schrecknisse bis hierher getragen.Auch am 24.Januar gab es keine Abwechslung, höchstens wurde der Weg noch staubiger.Die in den Feldern verteilten Grabdenkmäler wurden ansehnlicher, teilweise waren es wunderhübsche Ehrenbogen.Die Gräber selbst sind meist von den alten Bäumen umstanden.Einmal begegneten wir einem Trupp Infanterie, der einen guten militärischen Eindruck machte, weniger gut sah die Bagage aus, auf der sich eine Menge faules Volk herumsielte.In Li-hsing-hsien, wo ich übernachtete, schickte mir der Yamen eine Wache über Nacht.Es geht hier wieder in die Berge.

Am 25.Januar fing es kurz nach dem Abmarsch an zu schneien.Man begreift es kaum, wie die Maultiere die schweren, mit Waren beladenen Karren die steilen Böschungen herauf bekommen.Allmählich färbte sich alles weiß; Paß folgte auf Paß, und man konnte hier beurteilen, welche Schwierigkeiten eine Expedition nach Hsi Ngan Fu im Frühjahr 1901 gehabt hätte.Alle paar hundert Schritte bieten sich Stellungen, die schon an sich natürliche Festungen sind und von geringen Kräften gegen eine Armee verteidigt werden könnten.Nebenbei hätte die Verpflegung größerer Truppenmengen in diesem Landstrich die größten Schwierigkeiten gemacht, und diejenigen, welche glaubten, daß nach Erstürmung der sogenannten Schansi-Pässe der Weg nach Hsi Ngan Fu frei lag, waren meiner Meinung nach stark im Irrtum.Die Schwierigkeiten hätten hinter Taiyuanfu erst recht begonnen.Das Schneetreiben wurde immer stärker, und als wir gegen 4 Uhr den letzten Paß hinter uns hatten, schickte ich den Mafu voraus. In den Hohlwegen blieb der Karren im hohen Schnee mehrfach stecken, die Dunkelheit brach herein, und die Tiere waren so müde, daß sie kaum noch vorwärts kommen konnten. Ich war daher sehr froh, als wir gegen 6 Uhr in Cho Hso Hsien anlangten, wo alles schon vorbereitet war. Die Gegend hier soll sehr unsicher sein; Räuberbanden trieben gerade zu jetziger Zeit ihr Unwesen und plünderten die Reisenden aus. Mir gab der Yamen daher zwei mit langen Spießen bewaffnete Infanteristen und fünf Kavalleristen mit. Wir hatten am 26. Januar kaum die Stadt verlassen, als uns laut schreiend ein Mann nachgelaufen kam, der behauptete, vom Yamen zu sein und in der unverschämtesten Weise Geld forderte. Ich verlangte den Ausweis von ihm, natürlich hatte er nichts, womit er sich ausweisen konnte, und mußte schließlich unter dem Gelächter meiner Begleiter und ohne Geld wieder abziehen.

Es schneite heute noch dichter als gestern, dabei hatten wir schärfsten Nordwind.Rechts war wieder der Fönn-Ho, der hier schon bedeutend breiter ist.Einmal lag in einem der schmalen Hohlwege ein krepierendes Maultier; die Karrenführer fuhren ihm rücksichtslos über die Beine, mich dauerte das arme Tier, und ich gab ihm den Gnadenschuß.Die Chinesen lachten natürlich und begriffen meine Handlungsweise nicht.

In Hung-tung-hsien, wo wir abends ankamen, war das Volk unhöflich und frech, so daß ich erst recht deutlich werden mußte.Die Leute drängten sich an mich heran und befühlten meine Sachen; das dauerte so lange, bis ich einem ordentlich über die Finger hieb, dann ließen sie mich in Ruhe.Der Mandarin ist ein Tientsiner, von mir nahm er gar keine Notiz.Wir standen dicht vor dem chinesischen Neujahr und die Kaufleute wollten schon nichts mehr verkaufen.Wie sollte das erst übermorgen am Neujahrstage werden!

Die Nacht zum 27.Januar kam mir recht kalt vor.Trotz der miserablen Wege hatten wir doch täglich meist zwischen 50 und 60 Kilometer gemacht.Da der Mafu auf dem Karren fuhr, wenn ich ihn nicht vorausschickte, konnten zwei von meinen Tieren immer geführt werden, daher waren ihnen die anstrengenden Tage sehr gut bekommen, sie sahen frisch aus und waren munter.Der Weg war auch fernerhin scheußlich, teilweise überschwemmt und mit einer dünnen Eisdecke bedeckt, durch welche die Tiere durchbrachen und sich die Fesseln verletzten.

Meinem Mafu hatte man die europäischen Handschuhe gestohlen; da der Chinese Handschuhe nicht kennt, mußte er von jetzt ab zur Strafe seiner Eitelkeit an den Fingern frieren; er hatte sich nämlich einen Rock mit kurzen Aermeln nach europäischer Sitte machen lassen.Ausserdem gaben ihm die Handschuhe stets ein höheres Ansehen vor seinen Landsleuten; er legte sie fast nie ab.Ich bekam auf dem ferneren Wege Zank mit meinem Fuhrknecht, der seine eigenen Wege fahren wollte; ich zwang ihn, auf der Hauptstraße zu bleiben. Natürlich gerieten wir in einen scheußlichen Sumpf; man muß eben die Chinesen machen lassen, was sie wollen. Ich beobachtete auch hier wieder, daß die meisten Leute quer über die Felder fuhren, der eigentliche Weg wurde fast nie benutzt.

Neujahrs-Glückszettel an allen Häusern zu Neujahr

Überall bereitete man sich auf Neujahr vor; die Bäcker backten Brot in Buddha- und Pagodenform, die Fenster wurden überall neu geklebt und fromme Sprüche auf rotem Papier an alle Pfosten, Ecksteine und Türen angemacht.Das Volk, besonders die Jugend, hielt Umzug mit Musik, teilweise in Verkleidungen, und überall wurden Böller und Flintenschüsse gelöst zur Vertreibung der bösen Geister.

Meine beiden Ponies waren am Abend weggelaufen; das Einfangen dauerte eine gute Stunde; hinterher gab es eine gehörige Tracht Prügel.Am 28.Januar morgens hatten wir wieder einmal 20 Grad Kälte, mit aufgehender Sonne aber wurde es ganz angenehm.Die Gasthäuser waren teilweise schon geschlossen.In einem Hohlwege blieben wir stecken; die zur Fahrtrichtung schräge Rampe war so glatt, daß der Karren bei jedem Versuch, an einem andern, ihm entgegenkommenden, vorbeizufahren, gegen diesen rutschte; es half nichts, wir mußten den Abhang abgraben. Auch das Reiten war infolge der schlüpfrigen Wege sehr unangenehm. Vor mir reiste ein Japaner, von dem mir in allen Dörfern erzählt wurde, daß er eine sehr große Exzellenz sei. Später in Hsi Ngan Fu stellte er sich als ein ganz kleiner Hülfslehrer an der dort neu zu errichtenden Hochschule heraus. Jedenfalls hatte er es gut verstanden, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Wahrscheinlich befand er sich im Besitz einer sehr zahlreichen Bagage, was ihn in den Augen der Chinesen sofort zu einem großen Mann stempelte; denn auch hier gilt das Sprichwort: Kleider machen Leute.

Unser Karrenführer fuhr heute wie wild, so daß wir schon gegen 5 Uhr in Chu ma tscheng anlangten.Er wollte noch am Abend bei seiner Familie zurück sein.Wir mußten erst die ganze Stadt absuchen, ehe wir ein annehmbares Zimmer fanden; um 7 Uhr hatten die armen Pferde noch immer kein Futter.Die Chinesen rühren eben zu Neujahr keinen Finger für einen Fremden.Überall haben sie kleine Altäre aufgebaut, vor denen sie ihren Kotau machen und beten.Der Mandarin des Ortes, der jedenfalls dachte, daß für mich nichts zu bekommen wäre, schickte mir eine große Portion Hammelfleisch, die ich dankend annahm.Die ganze Nacht über ging das Geknatter des Feuerwerks zur Neujahrsfeier; ich kam kaum zum Schlafen.Morgens hatten wir 22 Grad Kälte; ich hatte vergessen, über Nacht meine Tinte einzupacken, die natürlich ausgefroren war, ebenso war mein Schwamm gleich einem Stein.Alles war heute geschlossen, man konnte nichts zum Frühstück bekommen, erst am Mittag wurde auf Klopfen hin geöffnet; die Chinesen waren heute faul und müde, da sie die ganze Nacht nicht geschlafen hatten; der Fuhrmann schlief auch unterwegs mehrfach ein, was sich jedesmal dadurch bemerkbar machte, daß die Karre stehen blieb.

Um vier Uhr nachmittags waren wir in Wönn Hsi Hsien, dessen Yamenbeamter seit drei Tagen aus Tientsin hier angelangt war.Liebenswürdigerweise schickte er mir Holz, Kohlen, Licht und ein sehr gutes Essen.Am Abend war wieder dasselbe Geknalle und Feuerwerk wie gestern.Reisende oder sonstige Karren kamen nicht an.Ich hatte mir ein Kohlenbecken zum Heizen ins Zimmer stellen lassen, bekam aber, als ich mich hinlegte, infolge der sich entwickelnden Kohlenoxydgase solches Herzklopfen, daß ich es wieder hinaustun mußte.In der Stadt wurden am 30.Januar morgens wenigstens Fleisch und die weichen, weißen, runden Brötchen verkauft, sonst blieb auch heute alles noch geschlossen, und nur ab und zu sah man eine halb geöffnete Tür.Wir hatten morgens bei ungefähr 10 Grad Kälte wundervolle klare Luft, so daß man im Osten die schwach bewaldeten Berge und dahinter die hohen schneebedeckten Bergkuppen sehr gut erkennen konnte; bald jedoch verschwanden sie wieder im Dunst.Die Leute bewegten sich in Feiertagskleidern auf der Straße, überall wurde öffentlich Karten gespielt, die Tai-tais (Frauen) hielten großen Klatsch ab. Der Tag blieb auch weiterhin schön. Im Gasthause, in dem wir Mittagsrast machten, mußte ich unsern Karrenführer anborgen, da kein Mensch Silber wechseln konnte. Uns angeschlossen hatte sich ein Mann, der Steuern nach Pu tschau fu brachte. Meinem Mafu hatte er gesagt, die Gegend wäre sehr unsicher und ich möchte doch mein großes Gewehr, das ich verpackt hatte, herausnehmen, damit die Leute es sähen. Ich glaube, er war sehr froh, seiner eigenen Sicherheit halber mit uns reisen zu können. Über Mittag tauten die Wege auf und befanden sich schließlich in einem ganz unbeschreiblichen Zustande. Gegen 4 Uhr langten wir in Pe-chau-hsien an, wo sich alsbald ein Yamenbeamter einstellte, der mir irgend etwas begreiflich machen wollte, was ich nicht verstand, da er Südchinesisch sprach. Schließlich kam mein Mafu dazu, und nachdem sich dieser mit dem Beamten verständlich gemacht hatte, verwandelte sich die Angelegenheit in ein Diner.

Übergang über den Hoang Ho

Der Karrenführer behauptete, zu wenig Geld bekommen zu haben, wurde frech und warf mir das Geld vor die Füße.Ich belehrte ihn handgreiflich darüber, daß mit Europäern nicht zu spaßen sei, er war schließlich ganz kleinlaut geworden und mit dem Gelde zufrieden.

In der Stadt fielen mir an manchen Häusern Glückszettel auf blauem Papier auf, sie sind an solchen Häusern angebracht, die Trauer haben.

Es wurde heute ziemlich spät, ehe wir eine geeignete Unterkunft fanden.Wir hatten ungefähr 70 Kilometer zurückgelegt.Meine Stube war ohne Tür; ich konstruierte einen Vorhang aus Decken; es gab nichts zu essen, und durch das beschädigte Dach schien zuerst der Mond herein, später schneite es, so daß ich eine recht ungemütliche Nacht hatte. Dabei faßte ich wieder einmal den Karrenführer beim Futterstehlen ab, d. h. nicht ihn selbst, sondern seine beiden Maultiere, die meinen Vorrat auffraßen, während er vergnügt zusah; die Tiere waren so gierig, daß ich von dem Geräusch aufwachte.

Hoang Ho-Fähre

Gegen Mittag des 1.Februar kamen wir in Pu tschau fu an.Mir war schon mehrfach in den letzten Tagen aufgefallen, mit welcher Bereitwilligkeit mein Mafu stets nach dem Yamen wanderte und daß er jedesmal mit einem Diner zurückkam; ich schöpfte Verdacht, daß er in meinem Namen darum gebettelt habe, daher wies ich von jetzt ab die Diners zurück, sehr zum Leidwesen meines Mafu.Die Tiere waren heute wieder einmal von dem gestrigen schweren Marsch sehr müde.Der Druck des Nepomuk war sehr viel schlimmer geworden, der dicke Pony hatte eine Hornspalte bekommen, die ihn jedoch nicht weiter störte.Am 2.Februar morgens gings weiter durch glatte Ebene, die reich angebaut war.Die Bauern waren hier überall bei der Feldarbeit, die Neujahrsfeier schien auf dem Lande beendigt zu sein.

Wir kamen heute an den Hoang Ho; die letzten zehn Kilometer vor dem Fluße ging es durch die Ausläufer des Fönn tiau schan, der dann steil zu dem Hoang Ho abfällt.An der Fähre angelangt, mußten wir ziemlich lange warten, ehe die Fährleute sich entschlossen, an die Arbeit zu gehen.Sie treidelten dann die Fähre ungefähr 100 Meter stromauf und legten ein Laufbrett hinauf. Pferde und Maultiere mußten die fünf Meter bis zum Boot durchs Wasser gehen und dann über den ziemlich hohen Bord weg hineinspringen. Jedesmal gab es ein Theater, bis man glücklich eines der Tiere drinnen hatte, da die meisten natürlich nicht springen wollten. Trotzdem die Sache ziemlich lebensgefährlich aussah, kam nichts vor; schließlich waren zwei Karren, elf Tiere und gegen 60 Menschen im Boot; mit viel Geschrei wurde abgestoßen und die Fähre in dem reißenden, eistreibenden Strom mittels zweier mächtiger, von je fünf Mann gehandhabter Ruder ans andere Ufer gebracht. Der Strom ist hier gegen 220 Meter breit, man hat einen schönen Blick auf die jenseitigen Berge und auf Tung kwan, welches mit seinen mächtigen alten Festungsmauern das gegenüberliegende Tal sperrt. Das rechte Ufer ist ziemlich flach, und schließlich mußten zwei bis zum Gürtel nackte Menschen in das eiskalte Wasser hinaus, um das Boot am Ufer entlang zu einer besseren Anlagestelle zu ziehen; auch dies geschah wieder unter entsetzlichem Geschrei. Das ganze Übersetzen hatte wohl eine Stunde gedauert. Man balancierte dann auf dem hochkant gelegten Ruder ans Land, da sie natürlich die Laufstege am anderen Ufer vergessen hatten. Die Pferde mußten wieder ins Wasser springen, wobei einige ausrissen. Es gab beim Ausladen höchst spaßige Szenen, zumal sich beim Berichtigen des Fährgeldes einige Leute drücken wollten. Ich selbst brauchte auf meinen Paß hin nichts zu bezahlen, gab den Leuten aber ein anständiges Trinkgeld.

Spieler auf öffentlicher Straße zu Neujahr

In Tung kwan, wo wir Mittagsrast machten, schickte der Yamen, der von meiner Anwesenheit jedenfalls gehört hatte, unaufgefordert ein Diner; also schien mein Mafu auch früher nicht darum gebettelt zu haben. Auf der Straße herrschte überall noch Festtrubel. Beim Verlassen der Stadt hatte ich den für China ziemlich überraschenden Anblick einer Rauferei, zu der Hasardspiel die Ursache gewesen war. Wir sind übrigens in die Provinz Schensi eingetreten; überall wird viel Reis gebaut.

Für einen Jäger wäre hier eine schöne Ausflugsgelegenheit, besonders Federwild ist recht zahlreich; ich sah zum Beispiel heute Wildgänse, rostbraune große Enten in Menge, Bussarde, Falken, wilde Tauben, Elstern, ganz schwarze Krähen, solche mit weißem Halsring, Mandelkrähen, Dohlen, Störche, Fischreiher, Spechte, Paradiesvögel und eine Menge kleine Vögel; dann noch einen großen rötlichen Vogel, der aufgebäumt war und, als ich ihm mit der Mauserpistole eins aufbrennen wollte, mit mißtönendem Geschrei langsam abstrich, ich kenne seinen Namen nicht.Alle diese Tiere, deren Mannigfaltigkeit der Arten ich tatsächlich nicht übertreibe, sind lächerlich vertraut; es scheint sie außer mir hier kein Mensch mit dem Schießprügel zu ängstigen.In den Bergen haust der Wolf und der Leopard, ob in ebensolchen Mengen, habe ich nicht feststellen können; mir haben es nur die Leute erzählt, ich hoffe es im Interesse derselben nicht.Da ich mir meine wenigen Patronen für später sparen wollte, unternahm ich noch nichts; Hasen sah ich überhaupt noch nicht, bei Tung kwan einmal einen Fuchs.Bei Pu tschau fu fand ich Trappen oder Bastarde, die hier vorkommen sollen.

Mittagessen in Tung kwan

Am 2.Februar abends in Chuarry miau angekommen, besah ich mir am nächsten Morgen einen schönen alten Stadttempel, in dem als besondere Sehenswürdigkeit eine ungefähr acht Meter lange, aus einem Stück geschnittene Schwarzsteintafel mit Fuß und Kopf gezeigt wird; leider ist sie durch scheußlich häßliche daran geklebte Zettel vollkommen entstellt. Sie erzählt von den Heldentaten des Kaisers Kien-lung. Beim Weitermarsch freute ich mich auf der Straße über die Menge von hübsch angeputzten, auf Eseln reitenden Frauen, bis ich erfuhr, daß es nicht Tai-tais, sondern von Kunstreisen über Neujahr zurückkehrende Damen der Halbwelt seien. Mittagsrast machten wir in einem kleinen Nest, in dessen Tempel oder vielmehr davor viele Hunderte von Menschen, besonders Weiber, um ein gesegnetes neues Jahr beteten; es war das reine Volksfest. Später, auf dem Rückwege, konnte man manchmal bis vier Menschen auf einem Ochsen oder Maultier reiten sehen.

Eine hübsche Chinesin

Wir trafen auf dem weiteren Wege einen Reiter auf einem bildhübschen Schimmel; der Chinese hatte sofort erkannt, daß mir das Tier gefiel, und bot es mir für 150 Taels zum Kaufe an.Er behauptete, sein Pferd sei das schnellste in der ganzen Gegend; ich meinte dagegen, meine große Stute sei schneller, er wollte sofort um 50 Taels wetten.Ich überlegte schon, ob ich nicht auf die Wette eingehen sollte, als mein Mafu hinter mir sagte: "Herr, laß dir erst das Geld vorzeigen."Natürlich hatte der Kerl keinen Pfennig, machte dumme Ausreden und drückte sich baldigst.

Die Felder wurden in dieser Gegend schon grün, und wir hatten eine angenehme, warme Frühlingsluft.Nachmittags waren wir in Chua Dscho, wo das Unterkommen wieder einmal sehr viel Schwierigkeiten machte.Als wir schließlich unter Dach und Fach waren, fragte der Yamen an, ob wir nicht dort wohnen wollten.Nun war es natürlich zu spät, dafür schickte er Essen und Beleuchtung.Am 4.Februar legten wir annähernd 50 Kilometer zurück.

Am folgenden Tage dachte ich eigentlich direkt nach Hsi Ngan Fu zu marschieren, aber gewöhnlich kommt es anders, als man denkt, wie es ja meistenteils im Leben zu sein pflegt, besonders in demjenigen des Soldaten.Ich hatte meinen Mafu nach Ling tun vorausgeschickt, um das Karrenwechseln, was ich dort beabsichtigte, zu beschleunigen.Bei bedecktem Himmel und 2 Grad Kälte zog ich morgens los. Ein alter Mann, den ich nach dem Wege fragte, ließ sich mit mir in eine Unterhaltung ein, und als ich ihm erzählte, ich ritte nach Hsi Ngan Fu, riet er mir, unbedingt vorher Ling tun mit seinen heißen Quellen anzusehen. Ich folgte seinem Rat und bereue es keineswegs. Wir ritten links ab vom Wege auf die südlich gelegene Gebirgskette zu, deren Abhänge stellenweise noch mit Schnee bedeckt sind. Zuerst ging es durch hügeliges Gelände mit ausgedehnten Obstpflanzungen, dann durch ein Vorplateau mit Ackeranbau, hübsch unterbrochen durch Busch- und Baumparzellen, die die Gräber umgeben. Die Äcker waren schon leicht grün, bei einem bißchen Phantasie konnte man sich in eine Art englischen Park versetzt glauben. Gegen 10 Uhr ritten wir in die Stadt Ling tun Hsien ein, die in ihrem Äußeren sich durch nichts von anderen chinesischen Städten unterscheidet. Die uns Deutschen so lieben, charakteristischen Baustile bei alten Häusern in den verschiedenen Provinzen unserer schönen Heimat fehlen hier gänzlich.

Familie, vom Neujahrsgebet zurückkehrend

Ich schickte meinen Mafu mit Paß und Visitenkarte zum Yamen, um das Bad benutzen zu dürfen.Sofort wurde mir ein äußerst höflicher Beamter mitgesandt, der uns durch die Stadt führte.Ungefähr einen halben Kilometer außerhalb der Stadtmauer, gerade am Fuße der Berge, gelangten wir an einen großen Gebäudekomplex mit teilweise roten Mauern, also kaiserliches Eigentum.Wir ritten durchs Tor in einen Yamen, wo ich einem andern ebenso höflichen Beamten anvertraut wurde, der meinen Mafu nach den Ställen wies und meine fernere Führung übernahm. Durch zwei weitere Höfe gelangte ich zu einer geschlossenen Halle mit vier kleinen Nebenräumen. Man bot mir sofort Tee und einen der Nebenräume zur Wohnung an, was ich dankend annahm. Auf meine Bitte, mir nun die Anlage ansehen zu dürfen, wurde sofort alles zur Besichtigung geöffnet. In den an dem ersten Hof gelegenen Räumen befindet sich ein mächtiges Bassin mit einer Quelle, die einen circa 25 cm starken, ziemlich starken Strahl sprudelt. Dieser Baderaum ist für die mittleren Klassen der Bevölkerung männlichen Geschlechts vorbehalten. In Adamskostümen planschen sie riesig vergnügt in dem heißen Wasser herum und spritzen und ducken sich unter, genau so, wie wir es als Jungen in der Schwimmanstalt getrieben haben. Durch mich und meinen Photographenapparat ließen sie sich nicht im mindesten stören. Außerdem sind an diesem Hof Küchen- und Dienerschaftsräume. Der zweite Hof mit seinen Räumlichkeiten ist für die "oberen Zehntausend" bestimmt. Drei Nebenräume der oben erwähnten Halle sind zu Wohnzwecken hergerichtet und dementsprechend ausgestattet, den Kang ersetzt eine hölzerne Pritsche. Der vierte Raum ist Baderaum; eine circa 20 cm starke Quelle strömt in ein 1½ m langes und 2 m breites Bassin aus Stein, zu dem eine breite steinerne Treppe herabführt.

An den zweiten Hof schließt sich ein weiterer offener Raum, in dem wieder eine Quelle in ein in chinesischem Stil unregelmäßig geformtes großes Bassin fließt.Daran nach Süden folgt ein hoher überwölbter Raum, der wiederum ein Bassin mit Quelle umschließt; letzteres ist acht mal zehn Meter groß.Über der Wölbung ist ein Tempel, an dessen äußerer Seite, der Quelle zugekehrt, Unmengen von Dankgebeten Geheilter, auf rote Seide oder Papier geschrieben, angebracht sind.Außerdem befinden sich in dem ganzen Komplex noch mehrere Quellen; sie sind alle gleichmäßig warm, ich maß sie auf 42 Grad Celsius; das Wasser ist ganz leicht schwefelhaltig, sonst kristallklar.Es badet sich sehr angenehm darin.Nach Osten zu schließt sich ein Gebäudekomplex an, der besonders für Angehörige des kaiserlichen Hauses vorbehalten ist, er wurde mir bereitwilligst geöffnet.Es ist ein reizendes Durcheinander von pittoresken Pavillons auf kleinen Inseln, von Felsaufbauten, Tempelchen und Baderäumlichkeiten.Das fließende Wasser ist in Teiche geleitet, die natürlich nicht gefroren sind und in denen Scharen von Goldfischen munter spielen.An einem besonderen Hof befinden sich die für die Allerhöchsten Herrschaften bestimmten Wohnräume, denen sich noch solche für die Leibwache anschließen.Die Einrichtung sämtlicher Räume ist einfach, aber in recht guter Ordnung gehalten und — recht sauber.Da ich durch meinen Besuch beim Yamen offizielle Persönlichkeit war, wurde ich auch weiterhin dementsprechend behandelt; wo ich hinging, hatte ich stets mehrere, meiner Wünsche wartende Leute hinter mir. Vergessen habe ich noch zu erwähnen, daß sich nach Westen zu ein Bade-Yamen für die holde Weiblichkeit anschließt; der Kuli badet außerhalb im abfließenden Wasser, sein Bad beschränkt sich meist auf ein Abwischen des Gesichts und auf ein Fußbad. Der Gebrauch des Bades ist überall frei, abgesehen natürlich von dem hier in China fast noch mehr als in Europa üblichen Trinkgeld. Nachdem ich meine Sachen untergebracht hatte, stürzte ich mich sofort in die heißen Fluten, dankbar dem Geschick, das mich hierher führte, und ich muß sagen, daß ich mich nicht erinnern kann, jemals so angenehm gebadet zu haben wie hier im Innern Chinas.

Unterdessen war bereits in meinem Wohnraum das vom Yamen gesandte unvermeidliche Diner aufgebaut, das übrigens ganz vorzüglich war.Als Nachmittagsspaziergang wanderte ich, mit photographischem Apparat und Zeiß bewaffnet, zum Lau-mutjin-miau, dem auf einem die Stadt überhöhenden Berggipfel gelegenen hübschen Tempel.Meine Hoffnung auf einen Sonnenstrahl erfüllte sich leider nicht, so daß mir dadurch die berühmte Fernsicht von des Tempels Terrasse aus entging und auch mein Apparat keine Arbeit bekam.Für uns Europäer ist nur eins an der ganzen Anlage zu bedauern, nämlich, daß sie nicht nahe der Küste liegt und damit für uns die Heilkraft der Quellen nicht ausgenutzt werden kann.Der Chinese benutzt die Bäder sehr eifrig; zu Roß, zu Fuß und zu Karren sah ich von allen Seiten Leute heranströmen; dementsprechend ist denn auch der Trubel vor der Anlage, wo sich natürlich eine Unmenge fliegender Händler niedergelassen hat und ihre mehr oder minder duftenden Waren ausbietet.Wer den zweiten Hof unbefugt betritt, wird von einem sonst sehr freundlichen alten, weißbärtigen Diener mittels drei Meter langem Bambus sofort wieder hinausbefördert.Diese Beschäftigung, nebenbei seine einzige, scheint ihm einen Riesenspaß zu machen, denn ich sah ihn den ganzen Tag auf der Lauer sitzen.

Bei herrlichstem Wetter marschierten wir am 6.Februar gegen sieben Uhr morgens ab; das Thermometer zeigte plus vier Grad, und man fühlte sich in der wärmenden Sonne sehr wohl.Der Weg ist auch ferner schlecht, recht steinig und ausgefahren.Wir überschritten auf einer 300 m langen Steinbogenbrücke den Ba-ho.Der Übergang war sehr schlüpfrig, so daß die Tiere fortwährend am Hinfallen waren; ich ließ sie an den Köpfen führen.Leute dazu bekam man überall, da an beiden Enden der Brücke sich Verkäufer niedergelassen hatten, die den sowieso schmalen Durchgang noch mehr erschwerten.Das Flußtal ist hier mehrere Kilometer breit, und in ihm tummeln sich unendliche Scharen von Wildgänsen, Störchen und großen, wohlschmeckenden, rostbraunen Enten.Letztere waren schon paarweise zusammen, eigentlich recht früh.Ich schoß einmal, natürlich vorbei, da es für eine Mauserpistole doch etwas zu weit war. Einmal kamen wir an einem Rasthaus des Kaisers vorbei, das er auf seinem Rückzug nach Peking eine Nacht bewohnt hat; es war noch leidlich in Stand gehalten. Eigentlich ist es durch das Wohnen des Kaisers darin geheiligt und darf von keinem gewöhnlichen Sterblichen mehr benutzt werden. Ganz genau scheint man es jedoch hiermit nicht zu nehmen.

Durch einen Hohlweg gelangten wir steil aufsteigend zu einem etwa 50 Meter sich über die Talsohle erhebenden Plateau, und vor uns lag auf etwa 5 Kilometer Hsi Ngan Fu.Der bis jetzt stinkend faule Karrenführer schien durch den so lange ersehnten Anblick ermutigt zu sein, denn mit einem Male fuhr er im schlanken Trabe los.Vorbei an einigen Soldatenlagern, gelangten wir zur Ling tuner Vorstadt.Unterwegs hatte ich schon viele Leute nach dem bekannten alten Christenstein gefragt, der hier stehen muß, es konnte mir aber keiner Auskunft geben.Später erst stellte sich heraus, daß der Stein auf der Westfront liegt.Am Haupttore angelangt, hielt uns die Wache auf, fragte uns nach Namen, Nation, woher und wohin, dann ging es durch das mächtige dreiteilige Tor auf der mit breiten Steinquadern gepflasterten, ostwestlich laufenden Hauptstraße in die Stadt.Die Wache hatte uns einen Beamten als Führer mitgegeben.Auch hier findet wieder scharfe Scheidung zwischen Chinesen und Mandschu statt, letztere nehmen das nordöstliche Viertel ein.Daß diese Scheidung eine tatsächliche ist, sah man gleich an den unverkrüppelten Füßen der Frauen auf der Mandschu-Stadtseite.So gelangten wir bis zur Mitte der Stadt, über die ein vierteiliger Bogen erbaut ist.Wir bogen links ab in die Chinesenstadt, in ein Gewirr von Gäßchen mit unendlich lebhaftem Treiben.Hsi Ngan Fu macht hier unbedingt den Eindruck der Großstadt; weniger großstädtisch kamen mir die Herbergen vor, vor denen wir bald hielten.Trotzdem sie meist den stolzen Namen Ta-kuan-dienn führten, also große Beamtenherberge, waren es doch meist nur schmutzige, dumpfe Löcher mit ganz unglaublichen Ställen.Die besten Zimmer waren stets von reisenden Mandarinen besetzt.Weiter vorbei am Futai-Yamen, wo Tausende sich um kleine Verkaufsstände herumdrängten, um bunten Neujahrs-Krimskrams zu kaufen, vorbei an der vizeköniglichen Wache, die sich in ihrer hochroten, bestickten Uniform sehr hübsch ausnahm und laut unverschämte Bemerkungen über mich machte, kamen wir schließlich zur Westfront und fanden endlich nach langem Suchen eine einigermaßen annehmbare Unterkunft für Mann und Pferd in einer kleinen Herberge.Mein Führer meinte zwar, sie sei keineswegs standesgemäß, das störte mich jedoch weniger.Ich ließ zuerst die Wohnung etwas säubern, die Fenster neu kleben, ließ dann die Pferde füttern und mir selbst einen Happen besorgen.

Ein Mann, der gerade nicht den besten Eindruck machte, drängte sich an mich heran, er hatte gehört, daß ich nach Kaschgar ging und wollte mich durchaus dorthin begleiten. Ich nahm ihn als Führer zu Dr. Smith, an den mich eine Empfehlung aus Taiyuanfu wies. Den Mafu schickte ich mit Paß und Visitenkarte zum Yamen, um mich anzumelden. Durch unendlich viele Straßen mit einem bunten Getriebe, wie ich es kaum jemals in Peking gesehen habe — es wurden meist Laternen in den unmöglichsten Formen, wie Drachen, Vögel, Fische, zu dem in fünf Tagen stattfindenden Laternenfest verkauft —, gelangten wir zum Yamen des Dr. Smith, der hier ein sehr gutgehendes Hospital aufgemacht hat. Natürlich war er gerade gestern abgereist; also weiter zum Missionar Shorrock, der in der östlichen Vorstadt wohnte, gerade dort, wo wir hereingekommen waren. Ich wurde von dem Missionar und seiner Frau, die beide chinesische Kleidung trugen, auf das liebenswürdigste empfangen. Natürlich sollte ich das Neueste erzählen, wußte aber weniger als die Leute selbst; dagegen hörte ich von unserm Freunde Tung-fu-hsiang, daß er sich zur Verteidigung und nicht zum Angriff rüstete und zusammen mit Prinz Tuan sich in Heichengtse fest verschanzt habe. Missionar Shorrock versprach mir für morgen einen Führer durch die Stadt. Ich selbst mußte gleich zurück, da mit Eintritt der Dunkelheit die Stadttore geschlossen werden und man ohne Gnade ausgesperrt wird. Bemerken muß ich hierzu, daß der Missionar in der Vorstadt wohnte, während ich selbst innerhalb der Stadt untergekommen war.

Missionar Shorrock, Hsi Ngan Fu

In der Stadt wurde überall getrommelt und Gongs zur Neujahrsfeier geschlagen.Der Mafu hatte meine Briefe nach der Küste auf dem Yamen abgegeben; mir selbst schickte der Yamen wiederum ein Diner.Neben meiner Stube hatte im nächsten Zimmer eine Hündin Junge, die die ganze Nacht quarrten; erst opferte ich mein Fleisch, um sie zu beruhigen, das half nichts; daraufhin stand ich wieder auf und beförderte sie hinaus ins Freie.Die Mutter hatte sie bald wieder zurückgeschleppt, und sie quarrten noch mehr, woraufhin ich mich in mein Schicksal ergab.

Am 7.Februar morgens holte mich einer der chinesischen Hilfslehrer aus der Mission zum Führen durch die Stadt ab.Ich fand in ihm einen freundlichen, des Ortes bis ins kleinste kundigen Mann und erhielt auch die Aufschlüsse über die Stadt, die ich haben wollte. Die Stadt ist eingeteilt in fünfzehn Bezirke, hat 40 Li Mauerumfang und gegen 300 000 Einwohner, jedoch sind die Angaben darüber sehr schwankend, wie stets bei chinesischen Städten; 20 000 davon sind Mohammedaner, 20 000 sind Mandschu, der Rest Chinesen. Die Stadt hat sowohl in der Politik wie im Handel stets eine bedeutende Rolle gespielt, im Handel weniger selbst produzierend, wie als Zentralsammelstelle und Durchgangspunkt für Waren. Ihre Gründung reicht bis in unbekannte Zeiten zurück, sicher steht fest, daß die erste Han-Dynastie von 202 vor Christo bis 24 nach Christo regiert hat und Schangan, das war der damalige Name, den man übrigens heutzutage auch noch recht häufig hört, besonders als Hauptstadt vorzog. Neben Schangan bestanden damals noch andere Hauptstädte. Später residierte hier die Sui-Dynastie von 589 bis 613 und die Tang-Dynastie von 618 bis 906. Unter letzterer erreichte die Stadt ihre höchste Blüte. Wir finden unter ihr die Einführung des Christentums, über dessen Verbreitung ein im Jahre 781 errichteter, beim Ausheben eines Grabes 1625 zufällig wieder aufgefundener Stein Kunde gibt. Er berichtet über "die berühmte Religion von Tatsin".

Als Missionen wirken hier: die englische Baptist-Mission, die schwedische Alliance-Mission und römisch-katholische Missionen.Die Tätigkeit der Missionen liegt mehr außerhalb der Stadt, auf dem Lande; soweit ich die Sache beurteilen konnte, schien mir die protestantische Mission keinen großen Erfolg zu haben, während die katholischen Missionen schon seit Generationen arbeiten und sehr fest fundiert sind.

Die zu oder von der Stadt führenden Hauptstraßen sind: von Peking, Honan, Lantschau Fu, Sze-tschuan, Hankau; auf diesen Straßen werden besonders ausgeführt: Felle, Tabak, Schuhwerk, Opium, Tee, Papier, Obst und auch sehr viel medizinische Sachen, die aus dem Westen kommen; als Einfuhrartikel sah ich meistenteils nur europäischen Schund.

Während des mohammedanischen Aufstandes von 1871 bis 1875 durch welchen alle Dörfer auf einer Strecke von Tausenden von Kilometern verwüstet wurden — man sieht sie noch jetzt überall in Trümmern liegen —, waren alle Landleute in die Stadt geflüchtet.Man hielt die mohammedanischen Einwohner in der Stadt als Geiseln fest, gab ihnen Essen und Soldaten als Wache, drohte jedoch den außerhalb der Stadt die undenkbarsten Scheußlichkeiten verübenden mohammedanischen Horden, sofort alle Glaubensgenossen in der Stadt hinzurichten, falls auch nur versucht werden sollte, die Stadt zu stürmen.Wer chinesische Verhältnisse kennt, weiß ganz genau, daß die Chinesen sofort ihre Drohung erfüllt hätten, und dadurch entging die Stadt der Belagerung und Erstürmung.In dem Unterdrückungsfeldzug kaiserlicher Truppen hat sich der General Tung-fu-hsiang infolge seines rücksichtslosen Vorgehens gegen die Mohammedaner einen Namen gemacht.Er ist auch hier noch von den kaiserlichen Truppen lächerlich gefürchtet, und man hofft, daß, im Falle eines angriffsweisen Vorgehens des jetzt aufrührerischen Generals, die Mohammedaner gegen ihren alten Unterdrücker aufstehen werden; denn auf die kaiserlichen Truppen ist doch wenig Verlaß.Der Gouverneur von Pingliang Fu und der kaiserliche General in Kuyuen sollen bereits Waffen unter die Mohammedaner verteilt haben, nachdem die eigenen Truppen zum Teil zu dem besseren Sold zahlenden Tung-fu-hsiang desertiert sind.In ganz Hsi Ngan Fu sind nur 16 000 Soldaten und 16 schwere Kanonen und gar keine Feldartillerie.Als vor ungefähr einem halben Monat die Gerüchte auftauchten, daß Tung-fu-hsiang binnen kurzem angreifen würde, und sich bereits eine Panik der Bevölkerung bemächtigte, wurden zur Ermutigung des Volkes täglich von den Wällen Salven geschossen und den ganzen Tag exerziert, was denn auch seine Wirkung zur Beruhigung der Bevölkerung nicht verfehlt hat.Die Missionare haben durch Spione, die sie im feindlichen Lager unterhalten, sicher festgestellt, daß Tung-fu-hsiang augenblicklich 20-30 000 Gewehre besitzt und über 200, teils moderne Kanonen verfügt.Goo-ta-jen, der oberste Beamte für auswärtige Angelegenheiten in Hsi Ngan Fu, erklärte mir auf meine Frage, woher denn Tung-fu-hsiang das Geld zur Unterhaltung seiner Truppen und zum Einkauf von Waffen habe, daß er im Jahre 1900, als er noch der mächtige Freund der Kaiserin-Witwe war, bei der Plünderung von Tientsin über eine Million Taels bar geraubt und die Arsenale geleert habe.Nebenbei ist bekannt, daß Tung-fu-hsiang sein sämtliches, nicht unbeträchtliches Vermögen, bestehend aus Grundstücken und Kapitalanlage, in Pfandhäusern flüssig gemacht hat.Welche Stellung der kaiserliche General in Kuyuen ihm gegenüber einnimmt, zeigt folgendes: Der General hatte aus Peking Befehl, ihn zu fangen; er hatte nichts Eiligeres zu tun, als Tung-fu-hsiang um eine Unterredung unter freiem Himmel zu bitten und ihm das Schreiben aus Peking zu zeigen. Sowohl der General wie der erste Beamte in Pingliang Fu hängen das Mäntelchen nach dem Wind, sie können es mit beiden Seiten nicht verderben; denn wenn Tung-fu-hsiang eines Tages marschiert und die beiden fängt, schlägt er ihnen unbedingt den Kopf herunter. Im übrigen baut er Befestigungen um Heichengtse und kauft alles Getreide im Lande auf, so daß die Preise trotz der voraussichtlich guten Ernte um 70 bis 80 % gestiegen sind.

Goo-ta-jen, Mandarin in Hsi Ngan Fu

Hsi Ngan Fu besitzt Telegraphen nach Hankau und Tientsin.Die große Linie nach Westen hat Telegraphenanschluß nach Kuyuen.

Theater in Hsi Ngan Fu
Schauspieler

Wir wanderten zuerst zu dem vorerwähnten Nestorianischen Gedenkstein, der ungefähr 1½ Kilometer vor dem westlichen Vorstadttore steht.Ich hatte mir diesen weltbekannten Zeugen der Einführung des Christentums in China in bezug auf seine Aufbewahrung ungefähr so vorgestellt, wie man bei uns zu Hause mit derartigen ehrwürdigen, hochinteressanten Zeugen einer vergangenen Zeit verfahren würde, und fand ihn mit noch einigen andern Grabsteinen abseits der Straße inmitten des Schutt- und Trümmerhaufens eines alten taoistischen Tempels.Da man von dieser Sorte täglich eine größere Menge und stets im gleichen Zustande sehen kann, würde man beim Vorbeireiten nie auf den Gedanken kommen, daß hier der Gedenkstein steht, über den Bücher geschrieben und Vorlesungen auf Universitäten gehalten worden sind.Ohne meinen Führer hätte ich ihn wahrscheinlich auch nie gefunden.Bezeichnend für die Interesselosigkeit chinesischer Behörden ist es, daß z.B.Goo-ta-jen, der Vorstand des Yamens für die auswärtigen Angelegenheiten Hsi Ngan Fus, auch nicht die entfernteste Ahnung von der Existenz des Steines hatte, obwohl er sonst in seiner Art ein hochgebildeter Chinese ist.Später erzählte mir Missionar Shorrock, daß auf Reklamationen katholischer Missionare hin in Peking 1000 Taels für eine würdige Aufstellung des Steines und ein Schutzdach gegen Regen und Wind bewilligt worden sind.Doch bis Peking ist es weit. Man baute einfach aus schlechten Ziegeln im Höchstwerte von 25 Taels ein Häuschen darüber, das jetzt schon lange wieder verfallen ist. Der Rest des Geldes blieb wahrscheinlich auf dem langen Wege von Peking nach Hsi Ngan Fu in den verschiedensten Taschen hängen. Ich finde diesen Vorgang bezeichnend.

Theater in Hsi Ngan Fu.Schauspieler

Der Stein selbst ist in Form und Ausstattung wie die noch jetzt üblichen chinesischen Grabsteine.Die beiden Figuren am oberen Ende, anscheinend Drachendarstellungen, umschließen ein christliches Kreuz.Die Inschrift ist in chinesischen Schriftzeichen, jedoch sind stellenweise Sätze in syrischer Schrift eingefügt, besonders auf den schmalen Seiten des Steins.Wir sahen uns die Reste des uralten Tempels an und wanderten dann zurück, vorbei am Exerzierplatz, wo kompanieweise, wahrscheinlich zur Ermutigung der Soldaten und des Volkes, Salven mit Platzpatronen geschossen wurden, oder wie man das zur Zeit der Vorderlader bei uns bezeichnet haben mag, denn solche führt die hiesige Infanterie.Außerdem wurde mit einer Unmenge Fahnen gearbeitet, aber nicht etwa Winkerflaggen.Die meisten Kompanien, es war hier eine ganze Anzahl tätig, gaben ihre Salven ab, als ich mitten vor der Front war.Ob sie mich erschrecken wollten oder ob es eine Ehrung sein sollte, konnte ich nicht feststellen; ich knipste sie dafür mit dem Kodak.Offiziere waren nirgends dabei; wahrscheinlich war es noch zu früh, oder der heute wehende kalte Wind hielt sie ab.

Unser Weg führte uns unterdessen weiter zum Arsenal in die Südwestecke der Stadt.Dabei ging es eine Zeitlang an der Stadtmauer entlang, und ich hatte Gelegenheit, zu sehen, daß auch Hsi Ngan Fu einst eine nicht unbedeutende Kanalisation gehabt hat, die jetzt im Verfall ist.Das Arsenal bot absolut keinerlei Sehenswertes; warum es eigentlich Arsenal heißt, weiß ich nicht, denn es hat nichts von denjenigen Sachen in seinen recht spärlichen Räumen, die man sonst darin vermuten würde. Der Vorstand im Mandarinenrange entschuldigte sich ununterbrochen bei mir, daß gar nichts Interessantes zu sehen wäre; ich konnte ihm eigentlich nur beistimmen. Außer einigen Schraubstöcken und einigen nicht im Betrieb befindlichen, gänzlich verkommenen amerikanischen Maschinen für Waffenreparatur konnte ich nichts entdecken. Überall klebten Neujahrszettel an den Maschinen; Neujahr entschuldigte jetzt ihren Nichtbetrieb. In der übrigen Zeit wartet man wahrscheinlich sehnsüchtig auf Neujahr und betreibt sie ebenso wenig. Das Hauptgebäude ist im europäischen Stil solide erbaut. Der Vorstand erzählte, daß schon lange Maschinen erwartet würden, aber der Weg über die Berge sei so furchtbar schwierig; warum man sie nicht auf dem Wasserwege schickt, leuchtete mir nicht ein. Am Ende könnten sie dann womöglich ankommen, und das wäre doch recht unangenehm, da ist es so schon besser. Nachdem ich meine höchste Bewunderung über den hervorragenden Zustand des Arsenals ausgedrückt und mein Führer erklärt hatte, daß ich als deutscher Artillerieoffizier das gewiß ganz genau beurteilen könne, wobei ich mir kaum das Lachen verbeißen konnte, empfahlen wir uns, ohne dem schlechten Tee und dem noch schlechteren Zuckerwerk des Vorstandes entgehen zu können; das ist eben beim Chinesen unvermeidlich.

Theater in Hsi Ngan Fu.Schauspieler.

Unser weiter Weg führte uns zu den schwedischen Missionaren, obwohl ich im allgemeinen solche Besuche nicht schätze, da ich mir immer etwas aufdringlich vorkomme.Jedoch mein Führer ließ nicht locker, ich mußte heran, ob ich wollte oder nicht, und richtig hat mir diese Missionarsgruppe von der Swedish Alliance Mission gar nicht gefallen.Gleich beim Eintritt hatte ich genug: ein kleiner Hof, Schmutz, Unordnung und eine Menge kleiner Kinder.Ich wurde hereingenötigt, die Tische waren ohne Decken, die schleunigst erst aufgedeckt wurden; in der einen Sofaecke schlief ein Säugling, in der anderen ein Köter. Allmählich versammelten sich zwei Herren und drei Damen, natürlich alle in chinesischer Kleidung, und nachdem ich kurzen Bescheid über woher und wohin gegeben und eine Tasse Kaffee dankend angenommen hatte, drückte ich mich schleunigst, um eine Erfahrung reicher und das bestätigt findend, was schon andere, z. B. Sven Hedin, vor mir gesehen haben.

Wir gingen dann zum kaiserlichen Palast; eigentlich sollten Kaiserin und Kaiserin-Mutter im Fu-tai-Yamen, als dem größten und geräumigsten Yamen der Stadt, wohnen.Der Fu-tai hatte alles zur Aufnahme hergerichtet, aber der Kaiserin-Witwe war die Lage nicht zur Verteidigung geeignet genug; sie zog den später vom Hofe bewohnten Yamen vor, der schon viele, viele Jahre leer stand und von dem man im Volksmunde sagte, es spuke darin.Das scheint die Kaiserin jedoch nicht zurückgehalten zu haben, und wie man jetzt sieht, hat ihr der Spuk auch nichts angehabt.Der Yamen liegt in dem Teil der Stadt, in dem vorherrschend Mohammedaner wohnen, also im nordwestlichen Viertel; er besteht ebenso aus mehreren hintereinander liegenden Höfen mit Gebäuden dazwischen, wie jeder andere chinesische Yamen auch.Man sieht ihm an, daß es noch nicht sehr lange her ist, daß er geräumt wurde, denn alle Malereien usw.sind noch wie neu; anderseits sah ich mehrfach in den Räumen oder außerhalb Renovierungsarbeiten vollziehen.Schwarzseher schlössen daraus auf einen baldigen neuen Aufstand und eine abermalige Verlegung des Hofes nach Hsi Ngan Fu.Der Kenner weiß, daß vom Kaiser auch nur kurze Zeit bewohnt gewesene Räume dadurch geheiligt sind und gleichsam als Tempel auf Staatskosten in Ordnung gehalten werden.Haarscharf nimmt man es hiermit jedoch nicht, denn ich sah auf dem Herwege mehrfach kaiserliche Rasthäuser bewohnt und Hund und Schwein vergnügt in den Höfen herumlaufen, in denen der Sohn des Himmels über die Wandelbarkeit des Schicksals, also über seine liebe Mutter nachgedacht hatte.

Der kaiserliche Yamen liegt nicht etwa auf freiem Platze, sondern ist von Gebäuden dicht umgeben.Man sieht zuerst einen langen offenen Hof mit Sperrbäumen umgeben; im Hofe zwei Steinlöwen, die "Wächter", vor einem Tor, das geschlossen ist.Ich ging durch eine Seitentür auf der östlichen Seite hinein; mein Führer zeigte oder übergab einem Beamten Herrn Shorrocks und meine chinesische Visitenkarte mit der Bitte, uns den Palast ansehen zu dürfen.Die englischen Missionare scheinen sich hier eines guten Rufes zu erfreuen, denn sofort wurde alles geöffnet.Wir traten ein und schritten durch ein weiteres dreiteiliges Tor in einen zweiten Hof, der an beiden Seiten Dienerschaftsgebäude hat.Ein ferneres Tor in der natürlich roten Mauer brachte uns in einen dritten Hof, der, zuerst schmal, nach ungefähr 30 Metern rechtwinklig nach beiden Seiten ausspringt, und vor uns lag der erste Thronsaal, einfach ausgestattet im Innern, mit einem ganz einfachen, hölzernen, breiten, vergoldeten Sessel und einem Wandschirm dahinter, der sehr schöne eingelegte Arbeiten zeigte. Außerdem waren in diesem Raume viele mit Drachenstickereien überdeckte Stühle und einige Spiegel. Rechts und links, in je zwei kleineren, aber auch höchst einfach eingerichteten Nebenräumen konnte man einige sehr schöne Porzellanvasen auf Tischchen sehen. Die Wände zierten von der Kaiserin-Mutter selbst auf Seide gemalte riesige Schriftzeichen. Die übrigen Kuriositäten scheint man nach Peking mitgenommen zu haben, denn in fast allen Zimmern konnte man die einstigen Behälter aufgeschichtet stehen sehen.

Partie aus dem Kaiserpalast Hsi Ngan Fu

Die Dimensionen der Räume und der Höfe sind nicht entfernt so kolossal wie in Peking, aber wenn mir auch dort die Größenverhältnisse imponiert hatten, so gefiel mir dieser Palast doch besser, er ist, ich möchte sagen, gemütlicher und zeigt nicht solche "kalte Pracht" wie jener in Peking.Doch weiter: Hinter dem ersten Thronsaal liegt ein weiterer Hof und ein zweiter, ähnlich ausgestatteter Thronsaal, für Empfänge der Kaiserin-Witwe bestimmt, mit kleinem Thron und in heller Farbe gehaltenen, mit Seide ausgeschlagenen Nebenräumen, in dessen einem zur Linken das kaiserliche Bett steht.Ein einfaches, nicht sehr langes, drei viertel Meter hohes Holzbett mit in Holz geschnitztem Himmel darüber, im Bett selbst nicht etwa eine Springfedermatratze, sondern eine wattierte dicke Decke als Unterlage.Auch hier einige Wandbehänge, Vögel im Baum darstellend, unter Glas, einige blue and white-Vasen, eine herrliche große Sang de boeuf und einige Kuriositäten, Schränke mit Intarsienarbeit, das ist alles.Hinter dem Schlafzimmer befindet sich ein dunkler, leerer Raum, der als Badezimmer gedient hat.

An den zweiten Thronsaal nach Osten schließt sich ein weiterer Hof an, in den man, durch das Seitengebäude gehend, gelangt.Hier ist ein Felsengarten, am südlichen Ende ein langes Gebäude, das kaiserliche Privaträume enthält.An dieses Gebäude, wiederum nach Süden, entsprechend dem dritten Hauptsaal, reiht sich ein Gebäude an, das für die Kaiserin-Witwe bestimmt ist.Die Räume sind steif und einfach ausgestattet, einige Stühle, Hocker, Spiegel, Tischchen, auf diesen meist große Uhren oder Vasen, auf dem Boden der übliche große Drachenteppich, weiter enthalten sie nichts.In den Nebenräumen ist auch die Ausstattung nichts als Schund.Nach Osten folgt noch ein zu Wohnzwecken bestimmtes kaiserliches Privatgebäude, vor ihm liegt ein hübscher, großer Felsengarten mit Wasserbassin, hoher künstlicher Terrasse mit schöner Aussicht und einem Gartenhäuschen.Man hört den Straßenlärm bis hierher schallen, und oft wird der Kaiser wohl hier gesessen und den ihm bis dahin unbekannten Äußerungen des Volkslebens gelauscht haben.

Kaiserpalast Hsi Ngan Fu.Zweiter Thronsaal

Auf dem Rückweg begegnete mir Goo-ta-jen, der mir sofort sehr freundlich die Hand gab.Er war mit großem Gefolge hier; wahrscheinlich trieb ihn nur die Neugierde her, den Fremdling zu sehen.Wir gingen nun über den mächtigen freien Platz, wo vor tausend Jahren und mehr stets der Kaiserpalast gestanden hat und der jetzt nicht mehr bebaut werden darf, nach dem mitten in der Stadt liegenden Hospital von Dr. Smith.Das Hospital ist ein großer, schöner Yamen, dessen Zwischenräume nicht, wie sonst, schmutzige Höfe, sondern hübsche Gärten zieren.Das Hospital geht augenblicklich ein, da Dr. Smith Familienverhältnisse halber nach England verreist ist. Ich frühstückte mit Missionar Shorrock, der mich hier erwartete, im Yamen, dann erhielt ich den Besuch Goo-ta-jens, der unter den üblichen Förmlichkeiten von 2 bis 6 Uhr abends dauerte. Ich erkältete mich hierbei schauderhaft und hatte nebenbei das Gefühl, von dem Missionar als willkommenes Mittel betrachtet zu werden, um mit einem hohen, einflußreichen Mandarin recht eingehend Rücksprache zu nehmen. Auch den Abend verbrachte ich bei Missionar Shorrock. Den ganzen nächsten Morgen, am 8. Februar, wurde ich wiederum durch den Besuch Goo-ta-jens festgehalten, so daß ich zu meinem großen Ärger vierundzwanzig Stunden verlor. Da ich außerdem der Andacht in der Mission beiwohnen mußte, büßte ich noch weitere mir wertvolle 1½ Stunden ein.

Hsi Ngan Fu
Goot-ta-jen

Schließlich empfahl ich mich und ritt zu meinem Gasthaus zurück, wo mein Mafu bereits in größter Angst auf meine Rückkehr wartete.Er hatte Auftrag erhalten, den gedrückten Pony womöglich zu verkaufen und sich nach einer billigen Karre zur Gepäckbeförderung nach Lantschau Fu umzusehen.Für den Pony, der Schläger und Beißer und nebenbei auch ziemlich bejahrt war, waren ihm nicht mehr als 10 Taels geboten worden, was mir zu wenig war.Praktisch, wie der Chinese zu sein pflegt, hatte sich der Mafu, der Karre wegen, an den Yamen Goo-ta-jens gewandt, und letzterem muß ich unbedingt gefallen haben, denn er stellte mir eine seiner eigenen Karren bis Lantschau Fu zur Verfügung, was ich nach chinesischer Sitte nicht zurückweisen konnte.Außerdem hatte Goo-ta-jen anfragen lassen, ob ich nicht mein großes Pferd verkaufen wollte.Der Mafu hatte es in seinem Leichtsinn gleich hingebracht und dort gelassen, worüber ich weniger erfreut war; nebenbei war er auf der Straße hingefallen und hatte sich das Knie verletzt, so daß er nicht reiten konnte und entsetzlich wehleidig tat.Ich glaube, das Fahren auf der Karre, wobei er tagsüber so schön schlafen konnte, hatte ihm gefallen.Gott sei Dank hatte ich noch einen Begleiter vom Yamen mit, den ich sofort mit einem englischen Brief zu Goo-ta-jen mit der Bitte sandte, mir entweder 500 Taels oder das Pferd zurückzuschicken.Die 500 Taels kamen nicht, dafür aber das Pferd.

Am nächsten Morgen wartete ich von 7 bis 8½ Uhr auf den mir von Goo-ta-jen versprochenen, ganz besonders guten Karren, der natürlich nicht ankam; schließlich machte ich mich selbst auf den Weg zum Yamen, traf aber auf der Hauptstraße einen mir bekannten Beamten, der behauptete, der Karren käme sofort.Wir gingen zum Gasthause zurück, und ich erhielt den Paß für den Wagen mit der Anweisung, den Führer ordentlich zu verhauen, wenn er sich widerspenstig zeigen sollte.Unterdessen wurde es 9 Uhr, und statt der Karre erschien Goo-ta-jen auf der Bildfläche.Er kam sicherlich nur aus Neugierde, ließ sich meine Waffen zeigen und stellte sich, als ob er von dem gestrigen Pferdehandel nichts mehr wüßte.Unterdessen kam der Karren, der erbärmlich aussah und noch miserabler bespannt war.Goo-ta-jen hatte natürlich keine Ahnung, daß es sein Karren sei, und mußte erst darüber belehrt werden.Dann war es ihm sichtlich unangenehm, da er mir vorgelogen hatte, er hätte Karren und Tier aus seinem eigenen Stall selbst ausgesucht.In Wirklichkeit hatten seine Leute für ganz billiges Geld irgendeinen gerade zufällig nach Lantschau Fu fahrenden Karrenführer halb gepreßt.Ich dachte, einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul, und ließ aufladen.

Wir marschierten durch das Westtor ab.Die Witwe, die ich heute ritt, hatte seit gut drei Wochen keinen Reiter mehr gehabt und ging daher sehr unruhig.Goo-ta-jen bat mich, das Tier doch einmal vorzutraben, aber die Stute galoppierte ununterbrochen und war nicht zum Trabe zu bringen.Die Chinesen lachten und hatten sicher ein Gefühl der Genugtuung, nicht auf das fremde Pferd hineingefallen zu sein.Ich ärgerte mich gründlich, wahrte aber nach chinesischer Sitte das Gesicht und lachte mit.Am Tore verabschiedete ich mich und erhielt von Goo-ta-jen nochmals den Rat, den die Karre treibenden Chinesen ordentlich zu prügeln, da er sonst nichts täte.Ich sagte ihm, daß ich, außer in Notwehr, niemals einen Menschen schlüge, wodurch sich Goo-ta-jen gar nicht rühren ließ, sondern nunmehr meinem Mafu denselben Rat erteilte.

In der Provinz Schensi
16 Marschtage = 692 Kilometer. Tägliche Durchschnittsleistung 43,25 Kilometer.

IV.KAPITEL.

In der Provinz Schensi.

Am nächsten Morgen erwachte ich in Hsienanyi mit greulichen Kopfschmerzen infolge des die ganze Nacht rauchenden Kangs.Die alte Druckstelle der Witwe war wieder derartig dick angelaufen, daß sie nicht mehr geritten werden konnte.Das glücklichste wäre doch gewesen, wenn sie mir der Mandarin abgekauft hätte, dann wären beide Teile befriedigt gewesen; denn der Chinese hätte sich niemals daraufgesetzt, sondern nur vor seinen Freunden mit dem teuren europäischen Pferde renommiert, und die gute Witwe hätte sicher in dem chinesischen Stall ein beschauliches Leben geführt.

Es ging heute weiter auf einem recht langweiligen Wege; überall sah man noch vom Dunganenaufstande her zerstörte Dörfer.Rechts am Horizont wurden Hügelreihen sichtbar.Mittagsrast hielten wir in Yang-kia-tschwang, und abends waren wir in Fung Hsia.Es war zuletzt recht langsam gegangen.Die beiden speziell von Goo-ta-jen ausgesuchten Maultiere erwiesen sich als ein paar uralte, faule, müde Tiere, der Karren fiel halb auseinander, dagegen zeigte sich der mir so warm empfohlene Führer als ein netter, anständiger Mensch; wenigstens ein Trost.Als wir abends in dem Gasthaus ankamen, fielen die Tiere in der Schere vor Müdigkeit um, sie fraßen beide überhaupt nichts. Mein Mafu brachte mir zum Nachtisch eine ganze Menge wundervoller Feigen, meine Vorliebe für diese Frucht kennend. In dieser Gegend gab es sonst nur noch die gelben Kakis. Er hatte die Feigen unserm Fuhrmann gestohlen, der damit in Lantschau Fu ein Privatgeschäft machen wollte. Ich erfuhr erst, woher sie waren, als ich sie längst gegessen hatte.