China und Japan: Erlebnisse, Studien, Beobachtungen
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Vorwort zur ersten Auflage.
Ein Buch, das „China und Japan” betitelt ist, bedarf eigentlich keines Vorwortes.Der Titel allein besagt, daß es sich um eine wenig bekannte, in jeder Hinsicht eigenartige Welt handelt, die erst in neuester Zeit der Allgemeinheit erschlossen werden soll.Je mehr man von ihr erfährt, in desto höherem Maße interessiert man sich für sie, mit desto größerer Aufmerksamkeit wird jedes neue Buch darüber gelesen.
Leider ist die deutsche Litteratur in Bezug auf die beiden großen Reiche Ostasiens keineswegs reich zu nennen. Sie besitzt darüber bedeutende umfangreiche Quellenwerke, aber der Preis derselben oder die Art der Darstellung ist nicht für die Allgemeinheit geschaffen. Auch sind in den letzten Jahrzehnten eine Anzahl Reisewerke erschienen, mit der Schilderung persönlicher Erlebnisse und Einzelheiten, die nur beschränkte Kreise zu befriedigen vermögen; an leicht faßlichen, charakteristischen Darstellungen der ostasiatischen Monarchien mit ihren Städten und Naturwundern, ihren Bewohnern und deren Kultur fehlt es aber, und doch werden solche Bücher von den Gebildeten aller Stände gerade jetzt gesucht, wo sich die Beziehungen mit Ostasien in jeder Hinsicht immer inniger gestalten. Mehr als je zuvor hegt man den Wunsch, die Wahrheit zu erfahren über das Wesen der ostasiatischen Kultur und über die Gefahren, mit welcher das ostasiatische Gespenst nach der Meinung vieler unsere christliche Welt bedrohen soll.
„Völker Europas, hütet eure heiligsten Güter!”So lautet der Mahnruf, der vor kurzer Zeit von höchster Seite erlassen wurde, und die Völker Europas suchen die Begründung dieses Mahnrufs in dem Erwachen und Erstarken der Völker Ostasiens.
Wird die Erschließung von China und Japan dem europäischen Handel, der Industrie, dem allgemeinen Wohlstand Vorteile bringen, oder wird sie einen schrecklichen Wettbewerb zur Folge haben, verderbenbringend für unsere christliche Welt?
Mit diesen Fragen vor Augen habe ich auf meiner jüngsten Reise um die Welt in den Monarchien Ostasiens länger als beabsichtigt verweilt und zu ihrer Beantwortung nach Material gesucht.Ich gebe in dem vorliegenden Werke nicht nur meine eigenen Erfahrungen und Anschauungen, sondern faßte auch jene zahlreicher anderer Persönlichkeiten zusammen, die seit vielen Jahren in den verschiedensten Berufszweigen in Ostasien thätig sind, aber nicht die Zeit, den Wunsch oder das Vermögen haben, ihre reichen Erfahrungen in einheitlichen, abgerundeten Darstellungen zu Papier zu bringen.Frühere große Weltreisen und ihre Schilderung haben mir vielleicht zu größerer Fertigkeit, geübterem, schärferem Blick für das verholfen, was dem europäischen Leser von besonderem Interesse ist.Nur wer die Kultur anderer Länder und Weltteile kennen und aus sich selbst herauszugehen gelernt hat, kann überall den richtigen Maßstab anlegen.Andere werden gewöhnlich einseitig nach der von ihrer Jugend an gewöhnten Elle messen, vieles minderwertig, verzwickt und verrückt halten, was nicht nach dieser heimatlichen Elle paßt.Und weil die Kultur der Ostasiaten von der unsrigen so sehr abweicht und so selten einsichtige, unabhängige Schilderer fand, ist der Begriff „Chinesisch” bei uns zur landläufigen Bezeichnung für alles Groteske geworden.Daher kommt auch das allgemeine Aufsehen, um nicht zu sagen Erschrecken, als in neuester Zeit solch unabhängige Schilderungen über die wahre Kultur, den wahren Charakter, das wahre Können der Ostasiaten erschienen sind.
Gestützt auf das in Ostasien gesammelte Material habe ich in den letzten zwei Jahren manche der nachstehenden Kapitel in verschiedenen großen Zeitschriften veröffentlicht, und die Thatsache, daß diese Arbeiten von zahlreichen, mitunter von Hunderten anderer Blätter Deutschlands nachgedruckt und in fremde Sprachen übersetzt worden sind, liefert den Beweis, daß sie gerade das enthalten, was man in Europa zu erfahren wünscht.Dieser Erfolg hat mich ermutigt, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen und China und Japan in allgemein faßlichen charakteristischen Darstellungen zu schildern, soweit es dem Einzelnen überhaupt möglich ist.Das Ergebnis ist das vorliegende Buch.
1897.
Ernst v.Hesse-Wartegg.