Japanische Märchen
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Der Hase und der Dachs.
Zwischen hohen Bergen lebte vor langen, langen Jahren ein betagtes Ehepaar, das sich durch fleißige Arbeit redlich, doch kümmerlich nährte.Der Mann ging täglich in den Wald, um Reisig zu sammeln, das er verkaufte, und aus dem Erlös bestritt er den Lebensunterhalt.Während der Mann im Walde war, kochte und wusch die Frau und machte das Haus sauber.
Im Laufe der vielen Jahre hatte der Mann die Bekanntschaft eines weißen Hasen gemacht. Die Bekanntschaft wurde immer fester und so kam es zu einer regelrechten Freundschaft. Immer, wenn sie sich trafen, unterhielten sie sich freundschaftlich über dieses und jenes, denn zu damaliger Zeit konnten die Tiere noch sprechen. An Feiertagen luden sie sich auch oft zum Essen ein und machten sich einander Geschenke.
Nun hatte aber in der Nähe der Wohnung des Hasen ein alter Dachs seinen Bau; das war ein alter Hagestolz, ein griesgrämiger Kerl und ein Geizhals dazu.Den verdroß die innige Freundschaft des Hasen mit dem Menschen und er suchte die zwei auf alle mögliche Weise auseinander zu bringen und zu entzweien.Aber alles, was er versuchte, blieb vergeblich, alle seine Niederträchtigkeiten scheiterten an der festen Freundschaft.Als nun eines Tages der Mann wieder den Hasen besuchte, brachte er ihm auch einige Süßigkeiten mit, die die Frau gebacken hatte.Als sich der Mann mit dem Hasen unterhielt und ihm die Süßigkeiten geben wollte, da hatte sich der Dachs hinzugeschlichen und sie gestohlen.Da wurden beide recht ärgerlich und beschlossen, dem Dachse endlich sein Handwerk zu legen.Sie begaben sich zu seinem Bau und trafen ihn gerade dabei die Süßigkeiten zu verzehren.Der Mann packte den Dachs schnell beim Kragen, band ihm mit einem recht festen Strick die Beine zusammen und trug ihn nach Hause.
Hier zeigte er ihn seiner Frau und sagte zu ihr: „Der Kerl hat sich durch seine Niederträchtigkeit jetzt selbst geschadet.Wir werden ihn schlachten und dann zu Mittag verspeisen!“ Mit diesen Worten hing er den Dachs an einem oberen Querbalken in der Küche auf und ging nochmals in den Wald, um noch schnell etwas Reisig zur Feuerung zu holen.
Die Frau nahm während dieser Zeit ihren Reismörser und begann Reis zum Mittagessen zu stampfen.Während ihrer Arbeit hörte sie oben den Dachs stöhnen und seufzen; obwohl sie Mitleid mit dem Tiere hatte, ließ sie sich an ihrer Arbeit nicht stören und tat, als ob sie nichts gehört hätte.
Doch der Dachs hörte nicht auf zu wehklagen; denn er wollte das Mitleid der Frau erregen, weil er hoffte, sie würde ihn freilassen; als er aber sah, daß alles Lamentieren nichts half, wurde er nachdenklich und besann sich auf eine List, denn loskommen wollte er wenigstens und sei es auch nur auf eine Minute.Die Dachse können sich nämlich in jede Gestalt verwandeln, doch können sie das nur, wenn sie im freien Gebrauche ihrer Gliedmaßen sind.Gefesselt vermögen sie ihre Kunst nicht auszuüben.Darauf baute er nun seinen Plan, um nicht nur frei zu kommen, sondern sich auch zu rächen.Deshalb hörte er mit seinem Gewimmer auf und rief der Frau mit sanftmütigster Stimme zu: „Aber, liebe Frau, was quälen Sie sich denn so sehr!Das Reisstampfen ist für eine alte Frau doch zu anstrengend.Lassen Sie mich hinunter und ich will Ihnen diese Arbeit abnehmen!“
„Ich danke,“ erwiderte die Frau, „bleibt nur hübsch da oben, denn helfen würdet Ihr mir doch nicht, sondern auskneifen.Dann könnten wir Euch nicht zu Mittag essen und mein Mann würde zornig werden und mich schlagen!“
„Aber seid doch nicht so ängstlich,“ sprach der Dachs mit einschmeichelnder Stimme, „schließt doch alle Fenster und Türen, dann kann ich nicht fort.Ich verspreche Euch nicht fortzulaufen und Euer Mann braucht gar nichts davon zu erfahren, denn Ihr hängt mich hier wieder auf, wenn ich Euch geholfen habe.Glaubt es mir, ich tue es nur Euch zu lieb, weil es mir leid tut eine alte Frau sich so schwer quälen zu sehen!“
Die Frau wurde schwankend und als der Dachs bemerkte, daß seine Worte nicht ohne Erfolg blieben, redete er noch mehr schöne Worte, so daß die Frau — einfältig, wie sie war, — seinen Worten wirklich Glauben schenkte und ihn losband.Kaum war der Dachs auf dem Fußboden und frei, so stürzte er sich auf die Frau, tötete sie, nahm ihr die Kleider fort und legte sie sich selbst an, sich so in die Frau verwandelnd.Dann schnitt er von der toten Frau einige Stücke Fleisch ab, warf diese in den Mörser und vermischte sie mit dem Reis.Die übrigen Teile des Leichnams warf er hinter dem Hause auf einen Haufen.Nun kochte er ein schönes Gericht und als der Mann zurückkam, bekam er es zum Essen vorgesetzt.Der Mann glaubte natürlich, es sei seine Frau, die den Dachs während seiner Abwesenheit geschlachtet hätte.Er freute sich sehr darüber und das Essen schmeckte ihm vortrefflich, nur wunderte er sich, daß das Fleisch etwas zähe und mager war.
Er bot dem Dachs, der ihn in Gestalt der Frau bediente1, auch etwas zum Essen an, dieser aber dankte und sagte, als der Mann alles aufgegessen hatte, zu diesem recht spöttisch:
„Nun, du armer Mann, du hast deine Frau gegessen!Pfui über dich, seine eigene Frau zu essen.Gehe hinaus, wenn du mir nicht glaubst, und schaue, was hinter dem Hause liegt!“
Damit nahm er wieder seine Gestalt als Dachs an und rannte zum Hause hinaus.Der Mann, aufs höchste erschreckt, eilte auch hinaus und erblickte hinter dem Hause den zerstückelten Leichnam seiner Frau.Er brach darüber in Tränen aus und war ganz untröstlich.
Da kam der Hase daher und vernahm die traurige Geschichte.Er tröstete den Mann, so gut er konnte und versprach den Dachs zu bestrafen und den Tod der Frau seines Freundes zu rächen.
Er nahm in der Küche etwas Miso2 und mischte dieses mit gestoßenem rotem Pfeffer, dann kehrte er in den Wald zurück, wo er bald den Dachs traf, der sich Spreu für sein Lager gesammelt hatte. Der Hase half ihm das Bündel auf den Rücken und als der Dachs damit seinem Bau zuwanderte, zündete der Hase es flink an. Da das Bündel recht fest auf den Rücken gebunden war, was der Hase absichtlich getan hatte, so fiel es nicht eher herunter, als bis die Schnur, womit es befestigt war, durchgebrannt war, natürlich war auch der Rücken des Dachses arg verbrannt. Scheinbar hilfsbereit, sagte der Hase: „Jammere doch nicht, wie ein altes Weib. Ich habe eine gute Salbe gegen Brandwunden, halte still und laß dich einreiben! “
Der Dachs biß die Zähne zusammen und der Hase machte sich daran, den verbrannten Rücken mit dem mit rotem Pfeffer gemischten Miso einzuschmieren.
Daß er dabei nicht sanft verfuhr, kann man sich denken, ebenso, daß der Dachs seinen Schmerz nicht mehr verbeißen konnte und furchtbar zu heulen anfing, als Miso und Pfeffer in seinen Wunden zu wirken begannen.
Er erlitt höllische Schmerzen und schleppte sich mühselig in seinen Bau, wo er unter Weh und Ach auf seinem Lager zusammenbrach. „Hättest du früher gewinselt, ginge es dir heute nicht so schlecht! “ rief ihm der Hase zu, als er ihn verließ, um zu dem alten Manne zu eilen und diesem von der Bestrafung des Bösewichts Mitteilung zu machen.
Der Mann aber, der inzwischen seine Frau begraben hatte, war mit dieser Bestrafung nicht zufrieden, er verlangte den Tod des Dachses als Sühne, denn er befürchtete mit Recht, daß, wenn dieser wieder gesund sei, er noch weitere Rache nehmen würde. Dem Hasen leuchtete dies ein und er machte einen anderen Plan, um den Dachs ums Leben zu bringen: Er baute also zwei Boote, ein kleines aus Holz und ein größeres aus Ton. Nachdem diese fertig waren, besuchte er den Dachs um zu sehen, wie es ihm gehe. Bei diesem war inzwischen die Wunde etwas geheilt, aber er litt furchtbaren Hunger, hatte er doch während seines Krankseins nichts zu sich genommen. Als er den Hasen erblickte, freute er sich, denn er glaubte wirklich, daß ihm die schreckliche Salbe geholfen habe; er bat ihn, doch etwas zum essen zu besorgen. Der Hase aber erwiderte: „Ich habe leider nichts hier, aber im Flusse sah ich einige wundervolle Fische, komm mit, die wollen wir uns fangen. “ Obgleich der Dachs vor Hunger und Schwäche kaum gehen konnte, schleppte er sich doch bis zum Flußufer, wo die beiden Boote lagen.Der Hase fragte: „Welches willst du nehmen?“ „Natürlich das große,“ entschied der Dachs, „ich bin einmal der Vornehmere und dann auch schwerer als du, da würde mich das kleine Boot nicht tragen!“
Damit kletterte er auch schon in das Tonboot, während der Hase, zufrieden mit seiner List, in das kleine hölzerne Boot sprang.
Sie ruderten nun beide bis in die Mitte des Flusses, doch ließ sich kein Fisch sehen, worüber der Dachs recht zornig wurde.
„Dort ist einer!“ rief der Hase plötzlich.Als der Dachs sich umwendete um nach dem Fische zu schauen, da nahm der Hase sein Ruder und tat einen kräftigen Schlag nach dem andern Boote, das natürlich sofort in Stücke sprang.Der Dachs fiel laut aufschreiend ins Wasser und wollte sich durch Schwimmen retten.Aber der Hase war in seinem Boote schnell hinter ihm her und hieb mit dem Ruder auf ihn ein, bei jedem Schlage ausrufend: „Das ist für die ermordete alte Frau, das ist für die ermordete alte Frau!“
So schlug er solange auf den Dachs ein, bis dieser wirklich ganz tot war und von einigen großen Fischen, die gerade vorbeikamen, aufgefressen wurde.
Nun war der Hase fröhlich und guter Dinge, fuhr ans Ufer zurück und eilte zu seinem alten Freunde um ihm die Freudenbotschaft zu bringen.
„Der Dachs ist tot, der Dachs ist tot.Deine Frau ist gerächt!“ rief er schon von weitem und erzählte, im Hause des alten Mannes angekommen, diesem, wie er den Dachs aufs Wasser gelockt, wie er das Boot zerschlagen und endlich den Bösewicht getötet habe, der nachher von den Fischen gefressen wurde.Da wurde der Mann, der bisher immer noch Furcht hatte, daß der Dachs auch ihm und dem Hasen ein Leid zufügen werde, wieder frohen Herzens.Er lud den Hasen ein mit an das Grab seiner Frau zu kommen.
Als beide am Grabe standen, rief der Mann, gleich als wenn seine Frau noch lebe:
„Liebe Frau!Du bist jetzt gerächt.Der Dachs, unser Widersacher ist tot, getötet von meinem Freund, dem weißen Hasen, hier neben mir.Wir können jetzt ohne Sorge sein, der Bösewicht wird uns nicht mehr schaden!“
Nachdem er dies gesagt hatte, machte er drei tiefe Verbeugungen3 und ging mit dem Hasen in das Haus zurück. Hier bereitete er diesem ein Essen, so gut er es konnte und es hatte, um seine Dankbarkeit zu beweisen.
Er lud den Hasen ein doch bei ihm zu bleiben und in seinem Hause zu wohnen, aber der Hase schlug dies dankend aus.Er sagte, er könne nicht schlafen in einem Raume, der ein Dach habe.Er könne nur schlafen im Freien unter dem Dache des Himmels.
So mußte sich der alte Mann zufrieden geben und in seinem Hause allein wohnen, aber er blieb nur wenig im Hause, den ganzen Tag ging er in den Wald und unterhielt sich mit dem Hasen; sie sprachen über alle möglichen Dinge, ihr Hauptgespräch aber bildete der Dachs, der durch seinen Neid und seine Feindschaft sich selbst ums Leben gebracht habe. War das Wetter schlecht, so besuchte der Hase den Mann im Hause und brachte ihm stets schöne Früchte mit.
So lebten beide in Ruhe und Frieden, in Eintracht und Freundschaft noch viele, viele Jahre.Wann sie gestorben sind, weiß man nicht; aber der weiße Hase hatte diese Geschichte seinen Verwandten erzählt, und diese sie wieder den ihren und so weiter bis auf den heutigen Tag, wo sie niedergeschrieben und gedruckt wurde, damit sie nie vergessen werde und sich ein Jeder erinnere, daß man sich selbst straft, wenn man mißgünstig die Freundschaft anderer stören will.
1. In den japanischen Familien ist es noch vielfach Sitte, daß der Mann allein ißt und von seiner Frau bedient wird. Sind Kinder vorhanden, so ißt der Mann mit den Söhnen zuerst, die Frau mit den Töchtern später.
2. Miso = Aus Bohnen, Hefe und Salz bereitete dickliche Brühe.
3. Japanische Sitte. In Japan wird jedes Familienereignis, Geburt, Verlobung, Hochzeit, Tod etc. den Ahnen der Familie verkündet.
Schlauheit schützt nicht vor
Täuschung.
m japanischen Meere lebt ein giftiger Fisch, der den Namen Fugu1 hat. Einen solchen Fisch hatte einst ein Mann gefangen und sich zubereitet. Schließlich kamen ihm aber doch Bedenken und er warf zunächst ein Stückchen seiner Katze hin. Diese ergriff es und eilte damit davon. Der Mann lief ihr nach um zu sehen, ob es ihr etwas schade. Die Katze aber war unter einen Holzhaufen gekrochen und kam nach einem Weilchen wieder ganz munter hervor.
Nun dachte der Mann, daß die Katze das Stück Fisch ohne Schaden zu sich genommen habe.Wenn ein so schlaues Tier, wie eine Katze, einen Fisch, der für giftig gehalten wird, nicht verabscheue, sondern unbedenklich verzehre, dann könne er es auch tun; er setzte sich hin und aß mit großem Behagen das Fischgericht.Die Katze aber war wirklich ein schlaues Tier; denn auch ihr waren Bedenken gekommen und sie hatte deshalb das Stück Fisch vorläufig versteckt um erst zu sehen, ob ihr Herr vom Fische genieße.Als sie nun sah, daß er ihn mit gutem Appetit verzehrte, da lief auch sie zurück und ließ es sich schmecken.Aber die Folgen blieben nicht aus.Das Gift fing bald an zu wirken und Herr und Katze starben unter großen Qualen.So sieht man, wie sich selbst der Schlaueste manchmal täuschen läßt.
1. Fugu, ein stachlicher Fisch zur Gattung der Tetrodon gehörig; das Fleisch dieses Fisches ist giftig und daher ungenießbar. Er wird nur gefangen um als Düngemittel verwendet zu werden.
Der bedächtige Reiher.
in Reiher spazierte am frühen Morgen im Teiche gravitätisch auf und ab; er hatte Hunger und suchte sich Beute.Da sah er plötzlich einen zierlichen Aal sich durch das klare Wasser schlängeln; auch ein munteres Fischlein kam herbeigeschwommen und endlich hüpfte ein Frosch auf ein großes Lotosblatt und stimmte seinen Morgengesang an.
„Hei!“ dachte der Reiher, „das ist reiche Beute!Aber welchen von den dreien nehme ich zuerst?“
Nachdenkend neigte er seinen Kopf, aber während er überlegte, hatten die drei Tierlein ihren gefährlichen Feind erblickt.
Der Frosch war mit einem Satz im Wasser verschwunden; das Fischlein tauchte schnell unter und schwamm davon und der Aal verkroch sich im tiefsten Schlamm.
Da stand nun der Reiher, als er sich entschieden hatte, wieder einsam, die sichere Beute war verschwunden und neue wollte sich nicht zeigen.Er steht noch heute nachdenklich im Teiche und wartet noch immer.So geht es allen zu Bedächtigen, die über dem Überlegen das Handeln vergessen.
Belohnte Kindesliebe.
or ungefähr zweihundert Jahren lebte in der zwischen Inaba und Harima gelegenen Provinz Mino nahe beim Städtchen Tarni ein Holzhacker, der nur einen Sohn hatte.Beide waren sehr arm und mußten täglich ins Gebirge, um durch Holzhauen ihr Brot mühsam und spärlich zu verdienen.Solange beide gesund und kräftig waren, gelang es ihnen auch ihren Lebensunterhalt zu gewinnen.Aber der Vater wurde immer älter und immer steifer und ungelenkiger wurden seine Glieder, sodaß schließlich der Sohn allein in den Wald gehen mußte, während der Alte daheim blieb.Dem jungen Manne machte dies keine große Sorge; kräftig und rüstig, wie er war, arbeitete er umso fleißiger und war glücklich, wenn er außer der täglichen Nahrung noch einige Sen1 mehr verdient hatte, um seinem alten Vater ein Fläschchen Sake2 kaufen zu können, den dieser leidenschaftlich gern trank und der ihm auch wohltat und ihn kräftigte.
Nun kam aber einmal ein sehr kalter Winter und der Schnee bedeckte bis spät in den Frühling Feld und Flur und machte die Wege ungangbar, sodaß der junge Holzhauer nur einen kärglichen Verdienst fand und daher oftmals seinem Vater nicht den gewohnten Sake kaufen konnte. Darüber war er natürlich sehr traurig und betete oft zu den Göttern, sie möchten doch dem harten Winter ein Ende machen oder ihm anderweit Hilfe senden. Eines Tages hatte er wieder nur eine ganz kleine Last Holz in die Stadt bringen können, und der Erlös reichte nicht einmal zu dem Nötigsten, geschweige denn zu einem Fläschchen Sake für den Vater. Obgleich ihm der Sakehändler gern auf Borg gegeben hätte, wollte der junge Mann davon nichts wissen, denn er gedachte des Sprichworts: „Schulden sind schlimmer als Motten im Pelz! “3
So ging er denn betrübt heim und dachte während seines Weges nur darüber nach, wie er seinem Vater eine Stärkung verschaffen könnte.Am Fuße des Tagiyama angekommen, hockte er sich nieder um ein Weilchen auszuruhen, aber auch hier fand er keine Ruhe vor seinen Sorgen und so wandte er sich wieder in inbrünstigem Gebete zu den Göttern.
Da hörte er plötzlich ein seltsames Rauschen, Dampf stieg an der Seite des Berges auf und ein eigentümlicher Geruch, fast wie erwärmter Sake, erfüllte die Luft.Schnell war die Müdigkeit des jungen Mannes verschwunden, er sprang auf und eilte zur Stelle, wo der leichte Dampf aufstieg.
Was erblickte er da?Welches Wunder sahen seine Augen?
Dort, wo stets eine kahle Felsenstelle war, sprang jetzt ein munterer Quell hervor und hüpfte in lustigen Sprüngen dem Tale zu.Der junge Mann schöpfte in der hohlen Hand etwas Wasser, das warm war, und kostete es.Welch’ eigentümlicher Geschmack!So etwas hatte er noch nie getrunken.„Das ist ein Geschenk von Euch, o Götter!“ rief er aus und füllte, nachdem er ein Dankgebet verrichtet hatte, seine Reiseflasche mit dem kostbaren Naß.
Frohgemut und seiner Sorge ledig, eilte er nun seinem Heime zu, wo er seinem Vater den wundervollen Trank verabreichte.Es war aber auch wirklich ein Wundertrank, denn der alte Mann fühlte neue Kräfte in seinen Körper einziehen; ja, am nächsten Tage fühlte er sich schon so weit gekräftigt, daß er aufstehen und, auf seinen Sohn gestützt, zur Quelle wandern konnte.„Sollte diese Gabe der Götter nur zum Trinken sein?“ fragte sich der Sohn und riet seinem Vater in dem warmen Wasser ein Bad zu nehmen, was dieser auch tat.Er merkte, daß nach dem Bade seine Gliederschmerzen nachließen.
Tagtäglich wanderten nun beide zu dem wunderbaren Quell und nach kurzer Zeit war der Alte so weit hergestellt, daß er seinen Sohn wieder in den Wald begleiten und bei seinem Tagwerke helfen konnte; infolgedessen waren beide von aller Sorge befreit und konnten zufrieden und glücklich leben.
Die Kunde von dieser wunderbaren Heilung verbreitete sich natürlich schnell und von fern und nah eilten Kranke und Gebrechliche herbei um Heilung ihrer Leiden zu suchen und zu finden. Selbst dem Kaiser wurde von dieser Heilquelle berichtet, der, nachdem er sich von der Richtigkeit überzeugt hatte, ihr den Namen Yoro4 geben ließ, ja, er nannte sogar die Zeitepoche von der Entstehung der Quelle „Yoro-Zeit. “5
Die Quelle — eine Mineralquelle — hat ihre Heilkraft bis auf den heutigen Tag behalten.6
1. Japanische Kupfermünze heutiger Währung = 2 Pfg.
2. Reiswein.
3. Japanisches Sprichwort. Es ähnelt dem deutschen „Borgen macht Sorgen! “
4. Yo = Kraft, Stärke, Pflege, ro = das Alter, Yoro = Kräftigung oder Pflege des Alters.
5. Wie in China ist es auch in Japan Sitte, die Jahreszahl nicht ununterbrochen fortlaufend zu führen, sondern in Zeitepochen, von irgend einem besonderen Ereignis abgeleitet. So haben die Japaner jetzt nicht 1912 sondern das Jahr „45 Meiji“, d.h. „Aera des wahren Friedens“.
6. Der vollständige Name der Quelle ist: Yoronotaki auch Yorogataki, taki = Wasserfall, Yoro siehe oben.
Der bestrafte Tierquäler.
n Yedo1 lebte vor Jahren ein Schirmmacher, dessen Verdienst sehr gering war, sodaß er mit Not und Sorgen zu kämpfen hatte. Auf einem Jahrmarkt sah er einmal in einer Bude einen Tiger ausgestellt und als er beobachtete, wie sich alles Volk in diese Bude drängte und der Besitzer eine gute Einnahme hatte, kam er auf den Gedanken gleichfalls auf den Märkten einen Tiger auszustellen.
Wo aber einen Tiger hernehmen?In Japan gab es keine, zum Kaufen hatte er kein Geld.Er wußte sich jedoch zu helfen.In einem Laden hatte er ein Tigerfell gesehen, dies erhandelte er; dann nahm er ein Kalb und nähte dieses in das Tigerfell.Damit es aber durch sein Blöken seine wahre Gestalt nicht verrate, band er dem Tiere das Maul zu.
Nun zog er auf die Messen und Märkte und hatte großen Zulauf, denn solch einen zahmen und friedfertigen Tiger hatte noch niemand gesehen.
Da der Verkehr in seiner Bude vom frühen Morgen bis zum späten Abend kein Ende nahm, er aber auch durch eine Pause seine Einnahmen nicht schmälern wollte, so fand er keine Zeit und Gelegenheit das arme Kalb zu füttern oder zu tränken, sodaß dasselbe nach einigen Tagen zu Grunde ging.
Da kaufte er sich ein anderes Kalb und so weiter, bis er wohl an zehn Kälber seiner Geldgier geopfert hatte.Doch die Götter schlafen nicht und rächen jede Unbill, die ihren Geschöpfen zugefügt wird.
Eines Tages wurde der Mann krank, er verlor seine Sprache und nur ein klägliches Blöken ertönte, wenn er sprechen wollte.Dann ergriff ihn der Wahnsinn; er riß seine Kleider vom Leibe, umhüllte sich mit dem Tigerfell und eilte in komischen Sprüngen und unter fortwährendem Blöken auf die Straße.Hier diente er der Jugend zum Spott, die ihn mit Steinen und Unrat bewarf.So trieb er es drei Tage lang, er konnte weder essen noch trinken und starb endlich eines elenden Todes.
Das war die Strafe der Götter für seine Tierquälerei.
1. Das heutige Tokyo.
Rai-taro.1
aiden, auch Rai-jin, der Donnergott, genießt in Japan große Verehrung; er ist aber sehr gefürchtet, wenn er in Begleitung von Futen, dem Sturmgeist, auftritt; denn dann tobt und heult er in den Bergen und in den Schluchten; dann kracht es in den Wäldern und die Sonne versteckt sich vor dem wütenden Heer der Sturm- und Donnergeister.Allen voran stürmt hoch oben in den Lüften, umgeben von schwarzen Wolken, Futen heran, ein behaartes grausiges Ungeheuer mit krallenbewehrten Händen und Füßen.Zwei große lange Hauer ragen aus seinem Maule, eine glatte Nase, stumpfe, kurze Ohren und tückisch blitzende Augen vervollständigen die schreckenerregende Gestalt dieses Unholds.Diesem folgt, ihm an Gestalt und Aussehen gleich, Raiden, der fünf Trommeln mit sich führt, auf die er mit einer großen Keule schlägt; zwischendurch wirft er die feurige Donnerkatze, die überall, wo sie hinfällt, Unheil anrichtet.Mit ihren glühenden Krallen zerschmettert sie Berge und zündet Bäume und Häuser an, sengt Menschen und Vieh zu Tode oder zeichnet sie für Lebenszeit.Futen trägt quer über den Schultern einen Sack, der vier Öffnungen hat und in dem die Winde stecken.Hält er den Sack geschlossen, dann herrscht Windstille auf Erden; aber die Schiffer auf dem Meere bitten ihn doch den Sack ein klein wenig zu öffnen, auf daß sie gute Fahrt haben.Macht Futen eine Öffnung ganz auf, dann bricht ein Gewittersturm heraus; wehe, dreimal wehe aber, wenn er den Sack an zwei Stellen öffnet, denn dann kommt ein Wirbelsturm daher, der alles in seinen Bereich Kommende vernichtet.Einen solchen Sturm nennt man in Japan „Tai-fu“ — großer Wind — Orkan.— Und nun will ich einmal von diesen beiden Unholden ein Stücklein erzählen, aus dem man ersehen kann, daß sie nicht immer so böswillige Gesellen sind, als sie scheinen.
Hoch oben an der Nordwestküste Japans, im Nordosten vom Biwasee, ragt das ewig weiße Haupt eines der höchsten Berge Japans stolz empor.Es ist der Hakusan2 auch „Shirayama“ genannt.
Am Fuße dieses Berges wohnte vor Zeiten ein armer Bauer, namens Bimbo3, er trug also seinen Namen mit Recht.Dieser Bauer hatte sich zeitlebens schwer geplagt, konnte es aber nie zum Wohlstand oder sorgenfreien Leben bringen, denn sein kleiner Acker befand sich hoch in einer Einbuchtung des Berges und die Ernte hing allein vom Wetter ab, da ihm jede andere Wasserzufuhr mangelte.Mit vieler Mühe hatte er mit seinem Weibe jahraus, jahrein das Feld bestellt, doch der Erntesegen blieb oft aus.
Auch in diesem Jahre, da diese Geschichte beginnt, hatte er große Sorgen, denn Tag für Tag sandte die Sonne ihre verzehrenden Strahlen auf das Reisfeld des armen Bimbo.Kein regenspendendes Wölkchen ließ sich blicken, kein Windhauch regte sich und die noch nicht reifen Reisähren hingen schlaff herab.
Bimbo und sein Weib seufzten schwer und bang und fragten sich oft, warum der Himmel ihnen zürne.Alles schlage ihnen zum Unheil aus.Selbst das höchste Glück des Menschen, der größte Segen der Götter, ein Kind, war ihnen bisher versagt geblieben, obgleich sie oft inbrünstig darum gebeten hatten.Jetzt waren sie schon betagt und hatten jede Hoffnung aufgegeben, ihren Lebensabend durch Kinder verschönt zu sehen; sie hatten sich darein ergeben, ein einsames Alter in Sorgen und Not zu haben; denn auch jetzt wieder schien die Ernte durch den heißen, trocknen Sommer vernichtet zu werden.
Sehnsüchtig und flehend sahen die beiden Leutchen nach dem Wetter aus, ob sich denn nirgends ein Lüftchen rege und den segenspendenden Regen bringe.Doch nichts, nichts!Der Himmel blieb klar und wolkenlos und betrübt wollten die beiden nach Hause gehen, als sich fern am Horizonte ein leichter Schleier zeigte.
„Wind — Sturm!“ rief der Bauer freudig aus, „das bringt Regen!“
Er hatte sich nicht getäuscht.
Näher und näher wehte der Schleier, er zerriß in viele Fetzen, die sich zu dunkeln Wolken formten, sich näherten und endlich zu einer dichten Wolkenwand zusammenballten.Da kam es heran, zuerst ein leises Raunen, dann ein Flüstern in den Zweigen.Scheu verkrochen sich die Vögel und die Sänger des Waldes verstummten, nur krächzende Raben und Sturmvögel durchkreisten die Luft.Jetzt zischte und pfiff es zwischen den Bäumen, die angstvoll und bebend ihre Häupter senkten.Nun ging es los das Stöhnen, Knattern, Rasseln, Fauchen, Heulen und Dröhnen und wie ein Heer wilder Rachegeister raste der Sturm heran.Bimbo und sein Weib achteten nicht des furchtbaren Unwetters; ihr Herz war voller Freude, denn dieser Sturm bedeutete für sie Segen; Segen nicht nur der Ernte, sondern noch einen andern Segen, den sie nicht erwarteten.
Nach dem ersten Anprall des Sturmes ergoß sich das kostbare Naß des Himmels auf die lechzenden Fluren und tränkte die ausgedörrte Mutter Erde. Bimbo sah dies alles mit Entzücken und drückte zufrieden die Hand seines Weibes. Da fuhr plötzlich ein blendender Blitzstrahl zwischen ihnen zur Erde und blendete ihnen die Augen, während ein furchtbarer Donnerschlag ertönte, sodaß beide betäubt niedersanken. Als sie aus ihrer Betäubung erwachten, hatte sich das Unwetter verzogen und die Sonne lachte wieder auf die erquickte, prangende Flur hernieder. Aber Bimbo und seine Frau waren nicht mehr allein, denn zu ihrem größten Erstaunen lag neben ihnen ein hübsches Kindlein, ein Knabe, genau an der Stelle, wo der Blitz in den Erdboden gefahren war. Es lächelte gar lieblich und freundlich und streckte seine rosigen Ärmchen den beiden hochbeglückten Alten entgegen.
Schnell hob Bimbo das Kindlein vom nassen Erdboden auf und barg es schützend unter seinem Strohmantel4; dann eilte er mit seiner Frau heim und bereitete dem Kinde ein warmes Lager.
Jetzt war bei den beiden Alten Freude eingekehrt und ihr langjähriger Wunsch erfüllt.Endlich hatten sie ein Kindlein, hatten etwas, für das sie sorgen und an das sie all ihre Liebe verschwenden konnten.
Wie sollte der Name sein?
Darüber war Bimbo nicht im Zweifel.
„Das Kind hat uns Raiden geschenkt“, sagte er zu seiner Frau; „deshalb wollen wir es Raitaro nennen!“
Und so geschah es.
Der Knabe wuchs heran zur Freude seiner Eltern, doch war er ganz anders geartet als die andern Kinder des Dorfes.Er fand kein Vergnügen daran mit den andern Kindern herumzutollen oder an ihren Spielen teilzunehmen.Am liebsten begleitete er seinen Vater auf das Feld oder tummelte sich allein im Walde umher oder lag oft stundenlang auf dem Rücken und verfolgte den Lauf der Winde und den Flug der Vögel.Ein Unwetter versetzte ihn in Entzücken und beim Rollen des Donners brach er in ein lautes Jauchzen aus.
Hatten so die alten Leute ihre Freude an dem Kinde, brachte dieses ihnen auch Segen und hielt jedes Unheil fern.Die Felder gaben reichliche Ernte, keine Dürre und kein übermäßiger Regen vernichtete mehr die Frucht mühevoller Arbeit, und alles gedieh Bimbo zum Besten, so daß er es bald zu einem gewissen Wohlstand brachte.
Achtzehn Jahre waren schließlich dahin gerollt; man feierte den Tag der Auffindung Raitaros durch ein festliches Gelage, mit Sang und fröhlichen Worten.Raitaro aber blieb still und in sich gekehrt und vergeblich war die Mühe seiner Eltern ihn aufzuheitern.Als der Abend nahte und die Dämmerung hereinbrach, erhob sich Raitaro und dankte seinen Eltern für alles Gute, das sie ihm erwiesen hatten.„Meine Zeit ist um“, sagte er zuletzt, „meine Absicht euch zu nützen ist gelungen, auch in Zukunft werde ich über euch wachen.Lebt wohl!“
Während dieser Worte hatte sich eine dunkle Wolke genähert und senkte sich nun langsam auf Raitaro nieder, ihn vollständig einhüllend; dann erhob sie sich wieder und verschwand eilends in unermeßlicher Höhe; der Platz aber, wo Raitaro gestanden hatte, war leer.
Bimbo und seine Frau waren ganz bestürzt und traurig und konnten es gar nicht begreifen, daß sie nun in ihren alten Tagen doch einsam sein sollten; da sie jetzt aber keine Not zu leiden brauchten und sorgenfrei leben konnten, so wurde der Trennungsschmerz gemildert und in stiller Wehmut fügten sie sich in das Unabänderliche. Sie lebten noch viele Jahre und starben endlich beide hochbetagt zur gleichen Stunde.Auf ihr Grab wurde ein Stein gesetzt, auf dem die Geschichte Raitaro’s erzählt und dieser selbst in Gestalt eines fliegenden Drachen abgebildet wurde.Dieser Stein ist noch heute vorhanden, doch hüllt ihn eine vielhundertjährige Moosdecke ein.Wer sich aber Mühe gibt, kann aus den verwitterten Schriftzeichen die Geschichte von Raitaro, dem Donnersohne, entziffern, so wie ich sie hier wiedererzählt habe.
1. Rai = Donner, taro = Sohn, = Sohn des Donners, Donnersohn.
2. Sprich: Haksan = Haku = weiß; auch Shiro = weiß. Also „weißer Berg. “ Er ist ein seit 1554 erloschener Vulkan und 2720 m hoch. Die Schneehöhe auf diesem Berge ist im Winter enorm, man hat schon bei 800 Meter Höhe eine Schneehöhe von 6 bis 7 Meter gefunden, sodaß eine Besteigung des Berges über einen Kilometer hinauf im Winter undurchführbar war.
3. Bimbo = arm.
4. Die Bauern, Schiffer usw. tragen auch heute noch bei Regenwetter einen Mantel aus Stroh, in der Regel Reisstroh, gefertigt, der warm hält und den Regen nicht durchläßt. Ein solcher Mantel hat die Form einer Pellerine und ist ½ bis ¾ Meter lang.
Hotaru.1
n einer Lotosblüte, die in einem großen Teiche stand, wohnte eine Johanniswürmchen-Familie: Vater, Mutter und Tochter.
Die letztere, „Klein-Hotaru“ genannt, war ein gar liebliches Geschöpf.Wenn der Abend mild und schön war, ging sie auf dem großen Lotosblatte spazieren, das für sie ein herrlicher Garten war.
Oft lauschte sie dem Konzert der Frösche, die im gleichen Teiche wohnten.War es dunkel, so zündete sie ihr Laternchen an; dieses strahlte ein so himmlisch schimmerndes Licht aus, daß selbst der Mond sich beschämt verstecken mußte.
Da Klein-Hotaru nun so ein liebes Ding war, konnte es nicht ausbleiben, daß sie bald von Freiern umschwärmt wurde.Tagsüber nahte sich ihr niemand; aber auch des Abends, wenn sie träumend im Dunkeln saß, blieb sie allein, denn dann konnte sie keiner ihrer zahlreichen Freier erblicken.Hatte sie aber ihr Laternchen angezündet, dann gab es ein munteres Treiben; dann summte, brummte und zirpte es; dann flatterte, schwirrte und surrte es; dann kamen sie alle, die die schöne Hotaru zur Frau begehrten.Da waren Falter, Käfer, Bienen, Fliegen, kurz jedes fliegende Insekt war vertreten und zeigte seine Künste, um Gnade vor Hotaru’s Augen zu finden.Diese aber blieb unnahbar; zwar erfreute es sie und sie war stolz, so umschwärmt zu werden; auch machte ihr das Treiben all der Tierlein anfänglich großen Spaß, endlich aber wurde ihr diese fortwährende Zudringlichkeit lästig, hatte sie doch nicht ein einziges Stündchen mehr für sich, in dem sie sich ungestört ihren Träumereien hingeben konnte, und sie beschloß sich all der Freier zu entledigen.
Deshalb sagte sie zu ihnen:
„Ich will gern einen von Euch freien, aber wer mein Gemahl werden will, muß mir ein Licht bringen, das mindestens ebenso leuchtet wie das meine!“ Alle hörten diese Entscheidung und machten sich schnell auf den Weg ein solches Licht zu suchen und herbeizuschaffen.Ein jeder wollte der erste sein, um Hotaru sicher zu erringen.
Das gab nun im ersten Augenblick ein fürchterliches Gedränge, umsomehr als Hotaru ihr Laternchen verlöscht hatte.Manchem Falter wurde ein Flügel zerknickt, manches Käferlein fiel in den Teich und wurde von einem Frosche verschluckt, Beinchen und Fühlhörner gingen verloren, kurz, es war ein unbeschreiblicher Wirrwarr, der aber auch schließlich ein Ende nahm wie alle Dinge auf dieser Welt.
Dann zog ein jedes seinem Ziele zu; überall, wo ein Lichtschein zu erblicken war, flogen auch die Freier heran.Der Nachtfalter war der erste, der zum Opfer fiel.Er flog durch ein offenes Fenster in ein Zimmer, wo ein Gelehrter beim Lampenschein über seinen Büchern saß, stieß und verbrannte sich sein Köpfchen an dem heißen Lampenzylinder.Trotz der Schmerzen gab er seine Versuche zur Flamme zu kommen nicht auf und war auch endlich durch ein Luftloch des Brenners gekrochen; aber, o weh!die Flamme versengte seine Flügel und zisch — zisch — der Falter war tot.
So ging es Tausenden der Freier; der eine stürzte in die Glut des Kohlenbeckens, ein anderer in die Flamme einer Kerze, andere flogen sogar den Menschen in die Augen und wurden getötet.Aber immer neue Scharen durchschwirrten die Luft, um ein Lichtlein zu erhaschen und Hotaru heimführen zu können.
Von all dem erfuhr auch Hitaro2 und dachte bei sich, wenn so viele Freier um Hotaru zu erlangen, ihr Leben wagen und es lassen, dann muß sie sehr schön sein. Deshalb machte er sich eines Abends auf den Weg um Hotaru zu sehen. Seine Wohnung war nur acht Lotosblüten entfernt von der Hotarus. Als er Hotaru erblickt hatte, da war er so entzückt, daß er schleunigst heimkehrte und zu Hotarus Eltern den Vermittler schickte, der um ihre Hand anhalten mußte3 und sie auch zugesagt erhielt, umsomehr, als er die Bedingung Hotarus erfüllen konnte, denn er hatte ja ein ebenso liebliches Lichtlein wie sie selbst und war überdies ein schmucker Bursche. Nachdem so alles in Ordnung war, wurde die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert. Sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende und hinterließen eine zahlreiche Nachkommenschaft. Die Bedingung aber, daß ein jeder, der eines dieser Johanniswürmchen freien wollte, ein Lichtlein mitbringen müsse, wurde hoch in Ehren gehalten und galt von nun an als Familiengesetz.
Deshalb sagt man, wenn des Abends die Insekten um das Licht schwirren und sich die Flügel verbrennen: „Das war Hotarus Freier“ oder auch: „Johanniswürmchen hat die Freier ausgeschickt.“
1. Hotaru = Johanniswürmchen.
2. Hitaro = Hi = Feuer, taro = Sohn = Feuersohn = Leuchtkäfer.
3. Japanische Sitte erfordert, daß die Brautwerbung durch einen dritten — Vermittler — erfolgt. Unschicklich wäre es, wollte der Freier es selbst tun.
Horaisan.1
uf den Inseln des ewigen Lebens, Horaisan genannt, herrscht ewiges Glück und ewiger Frieden, dort gibt es weder Schmerz noch Krankheit noch Tod, weder Leiden noch Unfrieden, dort herrscht ewiger Frühling und ewige Pracht; kein Sturm, kein Winter vernichtet die in ewiger Schönheit prangende Natur.
Deshalb ist es kein Wunder, daß die Menschen sich nach diesem Lande sehnen und nichts unversucht lassen es zu finden.Doch ist es noch keinem Menschen, der in der Absicht auszog jenes wunderbare Land zu suchen, gelungen, es zu finden, denn eine lange, lange Seereise trennt es von allen bekannten Ländern; aber niemand weiß die Richtung, in der er ziehen muß, um es zu finden; niemand kennt die Lage des hochgelobten Landes, nur die Schwalben und Sommervögel, die im Winter Japan verlassen, kennen die glückseligen Inseln und ziehen dorthin, wenn der Wintersturm Japan durchbraust.Wer aber reinen Herzens ist und nicht in der Absicht auszieht, sich dem Kampfe des Lebens zu entziehen, wer nicht beabsichtigt in Frieden und Glück zu leben, ohne vorher seine Pflichten gegen Gott und Menschen zu erfüllen, dem kann es geschehen, daß ihn ein günstiger von den Göttern gesandter Wind zu den ewig grünen Inseln führt, doch nimmer kehrt er dann zurück, denn gestillt ist all sein Sehnen und ein jeder Wunsch befriedigt.
Vor langen, langen Jahren, so berichtet uns der japanische Geschichtenerzähler, schenkten die Götter einigen Auserwählten das große Glück, Horaisan zu finden; aber nur einer namens Wasobiowo kehrte zurück und brachte Kunde von diesem glückseligen Lande, ja, es gelang ihm sogar eine Frucht von dort mitzubringen, nämlich die Orange, die vordem in Japan ganz unbekannt war, heute aber dank der von Wasobiowo mitgebrachten ersten Frucht auch hier heimisch ist.
Es wird erzählt, daß einst in China ein grausamer Kaiser regierte, herrschsüchtig und unduldsam, sodaß niemand, der etwas konnte oder verstand, seines Lebens sicher war; denn er allein wollte der einzige sein, in allem vollkommen.Wer mehr konnte als er, den ließ er beseitigen.Dieser Kaiser hatte auch wie alle Kaiser einen Leibarzt, der hieß Jofuku.Das war ein gar gelehrter Herr und außerordentlich klug, doch der Kaiser trachtete ihm nach dem Leben, weil er des Arztes Klugheit fürchtete.Er konnte ihm aber nichts anhaben, denn er wußte keinen besseren Arzt.Endlich aber wurde der Arzt dieses Lebens in Furcht und Schrecken satt und er dachte eine List aus, wie er es anstellen könne, aus dem Lande und aus dem Bereiche des Kaisers zu flüchten.
Es kam ihm auch ein guter Gedanke und so sagte er eines schönen Tages zum Kaiser:
„Ihr habt doch neulich von den immergrünen Inseln des ewigen Lebens erzählen hören.Gebt mir die Erlaubnis sie zu suchen, damit ich von dort heilkräftige Kräuter und ewiges Leben verleihende Früchte für Euch holen kann.Wenn es mir gelingt, werdet Ihr in ewiger Glückseligkeit leben, an nichts Mangel leiden und Herrscher der ganzen Welt werden!“
Diese Rede schmeichelte dem Kaiser und in der Hoffnung noch größere Macht und Gewalt zu erlangen, gab er dem Arzte die Erlaubnis zur Abreise, drohte ihm aber den Tod an, wenn er ohne die begehrten Gaben zurückkehren würde.
Der Arzt erhielt ein Schiff und ein großes Gefolge und schiffte sich ein.In Japan angekommen, ließ er in der Nacht, als das Gefolge ans Land gegangen war und sich dort belustigte, in aller Stille die Anker lichten und fuhr weiter um einen anderen Platz zu suchen.
Was er nun aber garnicht beabsichtigt hatte, das wollten ihm die Götter gelingen lassen; denn plötzlich erhob sich ein furchtbarer Sturm und trieb das Schiff mehrere Tage hin und her, das Steuer ging verloren, die Schiffsbemannung wurde vom Sturme ins Meer geschleudert und als endlich wieder schönes Wetter eintrat, war der Arzt nur noch allein auf dem Schiffe, das er nicht zu regieren verstand.Ein tapferer Mann wie er, verzweifelte nicht, sondern wandte sich an die Götter und siehe da, als er sein Gebet vollendet hatte, wurde das Schiff in ruhiger Fahrt vorwärts getrieben und landete endlich auf Horaisan.
Kaum hatte er das Schiff verlassen und das Land betreten, da versank das Schiff spurlos im Meere, ihm jede Rückkehr abschneidend. Am Strande traf er den Japaner Wasobiowo, der ihn begrüßte und ihm erklärte, wo er sich befinde. Da war der Arzt froh und dachte garnicht mehr daran, nach China zurückzukehren, um dem grausamen Kaiser unverdientes Glück zu bringen, sondern er blieb auf Horaisan und niemand hat seitdem wieder etwas von ihm gehört.
Anders Wasobiowo.Dieser lebte früher in Nagasaki, wo er ein Häuschen besaß, das er mit einem Diener bewohnte und wo er in stiller Zurückgezogenheit lebte, sich nur mit Wissenschaften und allerhand Künsten beschäftigend.Seine liebste Beschäftigung war das Angeln und er konnte oft tagelang auf dem Meere zubringen, einzig allein nur um zu angeln oder im Boote liegend den Gang der Gestirne zu beobachten und zu berechnen.
Eines Abends war er, wieder mit seinem Angelgerät versehen, bei herrlichem Mondschein aufs Meer hinausgerudert.Die sternenklare, ruhige Nacht aber ließ ihn das Angeln vergessen; träumend verfolgte er den Lauf der Sterne und freute sich des kräftigen, Kühlung wehenden Meeresodems.
Die Ruder entglitten seinen Händen und er wußte nicht, wie lange er sich seinen träumerischen Gedanken überlassen hatte, als sich der Himmel überzog und ein furchtbares Unwetter heranraste.Ohne Ruder war er machtlos den Wellen und dem Sturme preisgegeben und nur mit Hilfe des Steuers vermochte er das Boot vor dem Kentern zu bewahren, das mit unheimlicher Schnelligkeit bald über die hochgehenden Wogen dahin schoß bald in die schwarzen Wellentäler versank, die es zu verschlingen drohten.Endlich legte sich das Wüten des Sturmes, es wurde heller Tag; aber Wasobiowo sah nichts als das unermeßliche, wogende Meer, nirgends ein Zeichen, nirgends einen Punkt, an dem das ruhelos schweifende Auge einen Anhalt gefunden hätte um sich zu orientieren.
Er ergab sich in sein Schicksal und harrte des Abends, um aus der Stellung der Sterne bestimmen zu können, wo er sich befinde.
Am Abend, als die Sterne zum Vorschein kamen, da sah er zu seinem Schrecken, daß er mehrere hundert Meilen von der Heimat entfernt war und er garnicht daran denken konnte ohne Ruder dorthin zurückzukehren, umsoweniger als ihn entgegengesetzt wehender Wind immer weiter führte.
Wasobiowo hoffte in dieser Richtung bald ein Land zu finden oder einem Schiffe zu begegnen; deshalb suchte er mit Hilfe des Steuers möglichst geraden Kurs zu halten, was ihm auch gelang, da die Windrichtung sich änderte.
Drei volle Monate trieb er so auf dem Meere und lebte nur von den Fischen, die er mit seiner Angel fing und roh verzehren mußte, da er kein Feuerzeug bei sich hatte. Nach dieser langen Zeit endlich begannen sich im Wasser Pflanzen zu zeigen, die, je weiter er kam, immer dichter wurden; das Meer verlor seine glänzende Farbe und ging endlich in einen dicht mit Pflanzen aller Art bewachsenen Sumpf über, in dem das Boot nicht mehr weiter konnte. Aber Wasobiowo verlor nicht den Mut. Er ergriff die Pflanzen und zog daran und siehe, sie hielten stand wie Stricke. Nun begann eine mühselige Arbeit. Von Pflanze zu Pflanze greifend, zog er sich mit dem Boote immer weiter durch dieses Pflanzengewirr, durch diesen Morast. Über vierzig Stunden dauerte die Arbeit; todmüde, kraftlos und halbverhungert war er, denn hier gab es auch nicht das kleinste Lebewesen, das er als Nahrung verwenden konnte, als er endlich diese unheilvolle Strecke überwunden hatte. Nun lag vor ihm ein silberglänzendes Meer und in einiger Entfernung schimmerte ein grünes Land, überragt von einem bis zum Himmel reichenden Berge. Es war Horaisan mit dem Fusan2; doch wußte Wasobiowo dies noch nicht, ja ahnte es nicht einmal, sondern freute sich nur endlich wieder Land zu sehen.Eine Strömung führte ihn dem Lande zu und nach zehn Stunden stieß sein Boot auf den wie Gold und Silber glänzenden, sandbedeckten Strand.Hocherfreut sprang er aus dem Boote, fiel nieder und dankte den Göttern für seine Rettung.
Da aber — o Wunder!Als er sich nach dem Gebete erhob, war alle seine Müdigkeit verschwunden; vergessen waren alle Strapazen seiner Reise; er fühlte weder Hunger noch Durst und ein wonniges Kräftegefühl durchdrang ihn.
Da näherten sieh ihm weise, ehrwürdige Männer und schöne, edle Damen, die ihn begrüßten; sie priesen sein Glück, die Reise nach Horaisan überstanden zu haben und nahmen ihn als neuen Bürger in ihre Mitte auf.
Jetzt wußte er, daß er auf Horaisan war, auf Horaisan, das er stets für ein sagenhaftes, nicht existierendes Land gehalten hatte.Es existierte also wirklich, ja, er war jetzt selbst in dieses wunderbare Land gekommen und als Bürger aufgenommen.
Wieder dankte er den Göttern.
Die Stunden eilen und werden zu Tagen, diese zu Wochen, dann zu Monden und endlich zu Jahren.Die Jahre zu Jahrhunderten, dann zu Jahrtausenden und so weiter in unzählbarer Menge bis in alle Ewigkeit.
Aber auf Horaisan gibt es keine Stunden, keinen Tag und keine Nacht, keine Zeiten und keinen Zeitenwechsel, kein Essen und kein Trinken, kein Leid und keinen Tod. In ewiger Glückseligkeit, in geistreichen Gesprächen, bei anregenden Unterhaltungen, bei Musik, Gesang und Tanz streicht die Zeit unaufhaltsam ohne Wechsel und deshalb unbemerkt vorüber.
Wer vermag daher zu sagen, wie lange Zeit Wasobiowo auf Horaisan war, ob es Jahrzehnte oder Jahrhunderte waren, als die Götter einen neuen Ankömmling sandten, jenen chinesischen Arzt Jofuku.
Seit dessen Ankunft jedoch war Wasobiowo wie umgewandelt.Hatte der Arzt Heimatsluft mitgebracht, hatte sein Erscheinen in Wasobiowo einen schlummernden Gedanken geweckt?
Wer vermag es zu sagen?
Jedenfalls fühlte er sich nicht mehr wohl in diesem ewigen Einerlei der Glückseligkeit und er sehnte den Tod herbei.Für diesen war jedoch Horaisan unerreichbar, hier hatte dieser bleiche Gast kein Heim; deshalb konnte Wasobiowo hier auch nicht sterben; sogar sich selbst den Tod zu geben, war nicht möglich, denn im Wasser ging man nicht unter, vom Berge konnte man sich nicht hinabstürzen, denn die Luft trug wie das Wasser, es gab weder Waffen noch Gifte um sich das Leben zu nehmen.Nur ein einziges Mittel gab es, das war: „Fort von Horaisan!“
Aber wie?
Kommen nicht alljährlich die heimatlichen Vögel nach Horaisan um dort die Zeit zu verbringen, da in Japan der Winter herrscht?
An diesen Umstand denkend, beschloß Wasobiowo sich einen der stärksten und größten Vögel zu fangen, ihn zu zähmen und abzurichten, damit er auf dessem Rücken nach der Heimat zurückkehren könne.
Kaum hatte er diesen Entschluß gefaßt, als er auch ans Werk ging, denn es war gerade die Zeit, da die Zugvögel auf Horaisan ankamen.Unter diesen war ein besonders großer und starker Kranich, der kräftig genug erschien, Wasobiowo als Reitpferd dienen zu können.
Diesen zähmte er sich; er hatte ihn auch bald so weit abgerichtet, daß der Vogel ihn aufsteigen ließ und mit ihm kleine Strecken weit flog.
Als dann der Zeitpunkt kam, da die Vögel sich zur Heimreise anschickten, da packte Wasobiowo eine große Menge von Früchten zusammen, von denen er auf seiner Reise leben wollte; denn sobald er Horaisan verlassen hatte, mußte er wieder an Essen und Trinken denken.Vorher besprach er sich noch mit dem chinesischen Arzte und lud ihn zur Mitreise ein, dieser jedoch erwiderte:
„Ich danke sehr für Ihre liebenswürdige Einladung, aber ich wäre ein Tor, wollte ich dieses vollkommene Leben auf Horaisan mit dem unvollkommenen in Japan oder China oder sonst einem von Menschen bewohnten Lande vertauschen.Reisen Sie glücklich und mögen Sie es nie bereuen, dieses glückselige Land verlassen zu haben, denn die Rückkehr ist schwierig, sogar unmöglich!“
Wasobiowo sagte lächelnd: „Ich hoffe, daß ich meinen Entschluß nie bereuen werde, denn meine Seele findet keinen Gefallen an untätiger Glückseligkeit.Das wahre Glück für mich liegt nicht in ewiger Jugend und Nichtstun, sondern in Arbeit, Schaffen und Streben für andere; habe ich für meine Mitmenschen gewirkt, dann habe ich auch für mich gewirkt!“
Hatte er Recht?Ich glaube es!
Also stieg Wasobiowo auf den Rücken des Kranichs und dieser stieg mit ihm empor zum azurblauen Himmel.Dann ging es über viele unbekannte Länder und Städte, durch das Land der Riesen und der Zwerge, der Einbeiner und der Dreiäugigen und durch viele andere wunderbare Länder; überall hörte und sah Wasobiowo das Leben und Treiben der Bewohner und lernte vielerlei Dinge und Weisheiten.
Endlich aber kam er wieder in Japan an.Alle Leute staunten ihn an, sein Name war fast vergessen, denn nicht weniger als siebenhundert Jahre war er fort gewesen, aber der Aufenthalt auf Horaisan hatte auf seinen Körper solchen Einfluß gehabt, daß es ihm nicht ging wie Urashima, dem Fischer, sondern daß er bei Gesundheit und Kräften war, als wäre er nur wenige Tage abwesend gewesen.Von allen Früchten, die er aus dem Lande des ewigen Glückes mitgenommen hatte, brachte er nur noch eine Orange mit.Diese pflanzte er im Garten und sie trug tausendfältige Frucht und von ihr stammen die heute in Japan wachsenden Orangen.
Wasobiowo lebte noch viele, viele Jahre als weiser und zufriedener Mann und erzählte oft von seinem Aufenthalte auf Horaisan und von seiner Reise auf dem Kranich.
Seinem Angelvergnügen aber blieb er bis ins späte Alter treu und fuhr noch oft des Abends aufs Meer hinaus.Von einer dieser Ausfahrten kehrte er nicht mehr zurück.Sein gekentertes Boot wurde später, auf hoher See treibend, aufgefunden.Von Wasobiowo jedoch war nirgends eine Spur.
Ob er wieder nach Horaisan zurückgekehrt war?
Sein Andenken wird in Japan hoch in Ehren gehalten als des einzigen Mannes, der Kunde von Horaisan brachte und die Orange von dort nach Japan verpflanzte.
Im Munde des Geschichtenerzählers, in Wort und Schrift lebt die wunderbare Reise Wasobiowos fort und in vielen Tempeln, in Büchern und Symbolen findet man ihn dargestellt, wie er auf dem Kranich sitzend, über das Meer getragen wird.
1. Horai = Elysium; nach einer Erklärung von R. Lehmann Name eines fabelhaften Berges im Meere, wo die frommen Einsiedler in ewiger Jugend wohnen. san = Glückberg. Horaisan in sinngemäßer Uebersetzung: Land des ewigen Lebens.
2. Fu = Vater, Fusan = Vaterberg oder Vater der Berge, nicht zu verwechseln mit dem Fujisan in Japan.
Die Wünsche des Steinhauers.
s lebte einmal ein Steinhauer, der mußte sich im Schweiße seines Angesichts plagen; denn sein Handwerk war ein schweres.Doch da seine Arbeiten immer gut waren, so verdiente er so viel, daß er ohne Sorgen und zufrieden leben konnte.
Seine Arbeitsstätte war am Fuße eines hohen Felsens, von dem er Steine losschlug und sie bearbeitete, entweder zu Grabsteinen, zu Türschwellen oder zu irgendwelchen andern Zwecken.Bei diesem Felsen nun hauste ein alter Berggeist, der, wie die Leute erzählten, die Wünsche derjenigen, denen er wohlwollte, erfüllte.Eines Tages hatte der Steinhauer einen großen Gartenstein bei einem reichen Bürger abgeliefert und gesehen, wie wohl der es sich sein lassen könne.Als er an seiner Arbeitsstätte schweißtriefend wieder angekommen war und den Schlegel ergriffen hatte, um seine Arbeit fortzusetzen, da erinnerte er sich des reichen Mannes, der geschützt und wohllebend, daheim sitzen konnte und sich nicht so schwer zu bemühen brauchte wie er, der Steinhauer.„Ach,“ seufzte er, „wer es doch auch so gut haben könnte!“
„Dein Wunsch sei dir erfüllt!Gehe heim!“ erschallte plötzlich eine dumpfe Stimme, die aus der Höhe zu kommen schien.
Der Steinhauer war sehr verwundert, legte dem aber keine Bedeutung bei, sondern setzte seine Arbeit ruhig fort.Er hatte wohl von jenem Gerede gehört, wonach hier ein Geist hause, der Wünsche erfülle, doch glaubte er nicht daran, sondern war der Meinung, daß ihn irgend ein Schalk, der seine Stoßseufzer gehört habe, äffen wolle.
Während der Arbeit ließen ihm die Gedanken keine Ruhe und da ein besonders heißer Tag war, so machte er früher als sonst Feierabend, lud sein Handwerkzeug auf und ging heim.Wie erstaunte er aber, als er bei seiner Hütte ankam!Diese war verschwunden; an ihrer Stelle stand ein gar stattliches Haus, mit allem eingerichtet, was zu einem sorgenlosen, behaglichen Wohlleben nötig war.
Nun sah er, daß tatsächlich beim Felsen ein guter Geist wohnen müsse, der seinen Wunsch gehört und erfüllt habe.
Sehr erfreut und ganz glücklich warf er sein Handwerkzeug beiseite und ging in das Haus.Ein gutes Essen stand bereit, ebenso war ein warmes Bad vorbereitet, auch fehlten nicht gute Kleider und weiche Polster.
Sein Wunsch war nun erfüllt und er gab sich ganz dem guten Leben hin, das er sich gewünscht hatte.Bald kam ihm sein früherer Beruf als ein böser Traum vor und er wunderte sich oft, wie er hatte so lange zufrieden sein können.
Aber wie es so geht und wie ein Sprichwort sagt: „Auf einen Wunsch folgen mehrere“ oder „wer Macht hat, will größere Macht“, so ging es auch dem Steinhauer.
Einmal saß er an einem heißen Sommertage, sich fächelnd, auf der Veranda seines Hauses, als in einer Sänfte ein Fürst vorübergetragen wurde; eine Anzahl Diener schritt rechts und links von der Sänfte; sie trugen große, prachtvolle Fächer, mit denen sie dem Fürsten Kühlung zufächelten.Ein großes Gefolge begleitete ihn und alle Menschen warfen sich zu Boden und grüßten in dieser Weise den Fürsten.
Da ward der Steinhauer mißmutig und sagte: „Ja, der Fürst hat es gut, der braucht nicht zu Fuß zu gehen, braucht sich nicht eigenhändig Kühlung zuzufächeln und alle Welt verneigt sich vor ihm.Wenn es ginge, möchte ich auch so ein Fürst sein!“
Kaum hatte er dies gesagt, da ertönte wieder die Stimme: „Du hast es gewünscht, drum sei es!“
Jetzt war er ein Fürst.Verschwunden war das schöne Häuschen, dafür stand ein herrlicher Palast an der Stelle; zahlreiche Diener liefen hin und her und kamen jedem seiner Befehle nach.Er wurde in einer Sänfte umhergetragen, Diener in kostbarer Kleidung fächelten ihm Kühlung zu und alle Welt verneigte sich vor ihm.Anfänglich machte ihm diese neue Veränderung viel Vergnügen, bald aber ward er des ewigen Einerleis überdrüssig und dachte darüber nach, wie er noch besseres ersinnen könnte.Und als er sah, wie die Sonne so glühend brannte, wie ihre Strahlen Leben spendeten, zugleich aber auch Feld und Flur verbrannten, ja ihn selbst nicht schonten, sondern sein Gesicht trotz Sänfte, Schirmen und Fächern bräunte, da glaubte er, daß die Sonne das allgewaltigste Ding sei, dem nichts unerreichbar wäre, und so rief er aus: „Wenn’s möglich wäre, möchte ich die Sonne sein!“
„Du sollst sie sein! “ rief die Stimme und sogleich stand unser Steinhauer oben am Himmel als Sonne und schleuderte mit dem größten Vergnügen seine Strahlen nach allen Seiten, verbrannte das Gras auf den Wiesen, die Ernte auf den Feldern, ja zündete sogar Wälder an. Kurz, er trieb im Übermute seiner Macht allerhand Allotria wie ein Kind mit einem neuen Spielzeug. Wie dieses aber bald des Spieles überdrüssig wird, so auch der Steinhauer und als sich ihm eine Wolke in den Weg stellte und seinem Treiben Einhalt gebot, indem sie verhinderte, daß die Strahlen die Erde trafen, da wurde er bitterböse und schrie:
„Was, die winzige Wolke hindert mich an meinem Spiel?Dann ist sie ja mächtiger als ich, die Sonne.Da möchte ich denn doch lieber die Wolke sein!“
„Es sei!“ hörte er die Stimme zu sich herauftönen.
Jetzt schwebte er als Wolke zwischen Erde und Sonne und freute sich der Sonne einen Schabernack spielen zu können, indem er ihre Strahlen auffing.Jetzt sah er auch, wie infolge des Schattens, den er auf die überhitzte Erde warf, alles zu grünen und blühen begann.Dazu gehört auch Wasser, dachte er, und öffnete seine Schleusen.Hei, wie das prasselte und plätscherte!Er freute sich königlich über das Treiben auf der Erde, wie die Menschen rannten und sich zu schützen suchten, wie die Vöglein sich verbargen und wie die Bäume sich beugten unter der Last des prasselnden Regens.Und immer mehr ließ er es regnen, nicht mehr in kleinen Tropfen, nein, in zerschmetternden Güssen, so daß die Bäche und Flüsse die Wassermenge nicht zu fassen vermochten und über die Ufer traten.Alles Land wurde überschwemmt, Bäume entwurzelt, Dämme fortgerissen und von den Bergen stürzten die Wasser in donnernden Kaskaden hernieder, alles sich ihnen in den Weg Stellende mit sich reißend.Nur ein einsamer Fels stand ruhig und fest, ihm vermochte das rasende Ungewitter nichts anzuhaben; stolz ragte sein Haupt bis nahe zur Wolke empor und die Steinhauer-Wolke glaubte sogar ein spöttisches Lachen zu hören.Das ergrimmte ihn noch mehr und in äußerster Wut sandte er einige Blitze auf den Felsen und goß über ihn den Rest seines Wassers aus.Aber es half alles nichts; der Fels wankte und wich nicht und endlich mußte die Wolke erschöpft ihr Wüten einstellen.
„So will ich denn ein Felsen sein!“ lautete nun sein Wunsch und wieder rief ihm die Stimme Erfüllung zu.
Jetzt war er der Fels, stand stolz und selbstbewußt da und freute sich seiner unbegrenzten Macht.Nicht die Strahlen der Sonne, nicht der strömende Regen konnten ihm etwas anhaben.Jetzt glaubte der Steinhauer sein Ziel erreicht zu haben und der Mächtigste dieser Erde zu sein; denn niemand vermochte ihm Schaden zuzufügen oder ihn von seiner Stelle zu bewegen.
Niemand!
Wirklich niemand?
Die Freude währte nicht lange; eines Morgens hörte er an seinem Fuße hämmern und kratzen und als er hinunterschaute, da sah er ein winziges Menschenkind mit Keil und Hammer bewaffnet, Stück für Stück vom Felsen losschlagen.
„Wenn das so weiter geht“, brummte er, „bleibt ja nichts von mir übrig.Sollte man es für möglich halten?Was alle wütenden Elemente nicht vermögen, das tut so ein kleiner Knirps von einem Menschen.Das darf nicht sein, da will ich lieber dieser Mensch sein.“
„So sei, was du vordem warst!“ ertönte die Stimme des Berggeistes.
Und der Fels wurde wieder zum Steinhauer, der vom frühen Morgen bis zum späten Abend mühsam die Steine aus dem Felsen brach und zufrieden und glücklich war mit dem, was er hatte.
Er war von seinen Wünschen geheilt und hatte einsehen gelernt, daß in jedem Stande und in jedem Berufe etwas zu wünschen übrig bleibt, weil es auf dieser Erde nichts Vollkommenes gibt.
Japanischer Glücksgott.
Inhalts-Verzeichnis.
Seite | |
Zur Einführung | 3 |
Juki-onna | 5 |
Der weiße Fuchs | 9 |
Urashima Taro | 12 |
Wenn man mit Kobolden tanzt | 21 |
Neid bringt Leid | 24 |
Der schlaue Polizist | 27 |
Der Abt des Klosters Yakhusi | 30 |
List geht über Gewalt | 32 |
Die Kröte von Osaka und die von Kyoto | 34 |
Der Affe und der Sake | 36 |
Die Auster | 38 |
Der Sperling mit abgeschnittener Zunge | 39 |
Die geplagte Krabbe | 43 |
Der kluge Hase | 49 |
Maorigashima | 55 |
Der Hase und der Dachs | 58 |
Schlauheit schützt nicht vor Täuschung | 64 |
Der bedächtige Reiher | 65 |
Belohnte Kindesliebe | 66 |
Der bestrafte Tierquäler | 69 |
Rai-taro | 70 |
Hotaru | 75 |
Horaisan | 77 |
Die Wünsche des Steinhauers | 84 |
Deckelbild, ursprüngliche Form: